Sonntag, 18.10.1998 - von Cahors nach Éauze
Sonntagmorgen - ich werde geweckt, nicht vom Wecker oder irgendwelchen modernen Geräuschen, nein,
eine riesengroße Entenfamilie trifft sich unterhalb unseres Zimmerfensters zum kühlen Bad im Lot.
Natürlich hat man sich nach einer langen Nacht viel zu erzählen. Es wird geschnattert und geplappert,
oder ist es etwa ein Familienkrach?
Beim Blick aus dem Fenster sehe ich auf der rechten Seite die Pont Louis Philippe und auf der linken
Seite eine andere Brücke, nein, es ist nicht die Valentré, die ist noch etwas weiter entfernt. Wir
werden heute Morgen nach der Messe dorthin gehen. Zuerst heißt es jetzt einmal Koffer packen,
frühstücken, Autos beladen, und dann haben wir Zeit zur Stadtbesichtigung. Wir schauen uns die
Kathedrale St. Etienne, eine romanische Kuppelkirche aus dem 12. Jahrhundert an. Dort möchten wir
um 11 Uhr die Messe mitfeiern. Noch sind wir etwas zu früh und haben Zeit, das rege Treiben auf
dem Blumen- und Gemüsemarkt vor der Kathedrale zu beobachten. Regina ist begeistert von den "Bio-Äpfeln",
ganz ohne Chemie. Sie lässt sich einige reservieren. Wer weiß, nach der Messe könnten keine mehr da sein.
Beatrix macht mich aufmerksam auf einen schicken älteren Herrn am Käsestand mit knallroter Schirmmütze
und kunterbunt gemusterter großer Fliege, ich muss ein Bild von ihm machen.
In fast familiärer Atmosphäre erleben wir während der Messe in der Kathedrale die Taufe des
kleinen Nicolas. Nach der Taufe hebt der Priester den kleinen Täufling in die Höhe und zeigt ihn
der versammelten Gemeinde. Alle Anwesenden klatschen und freuen sich mit dem Priester, mit den
Eltern und Geschwistern von Nicolas. Dieser Gottesdienst hat uns allerlei frohes, dankbares Gefühl
geschenkt, Freude, die uns ganz tief berührt.
Wir bummeln durch die alten Viertel der Stadt und über den Boulevard Gambetta des modernen Cahors.
Am Lot entlang folgen wir einem kleinen Pfad bis zur berühmten alten Brücke, dem Wahrzeichen von
Cahors, der Pont Valentré, ein Meisterwerk mittelalterlichen Brückenbaues aus dem 14. Jahrhundert.
Eigentlich müsste sie ja Teufelsbrücke heißen, denn nach der Legende verschrieb der
Architekt seine
Seele dem Teufel, da die schwierige Aufgabe des Brückenbaues mit menschlicher Kraft nicht vom Fleck
kam. Als Gegenleistung musste der Teufel bei den Bauarbeiten jeden Auftrag ausführen. Bald war die
Brücke fertig, doch der Teufel wurde durch den schlauen Baumeister überlistet. Dieser verlangte vom
Teufel als letzten Auftrag, dass der in einem Sieb Wasser von der Quelle des Lot hole. Der Teufel
konnte natürlich keinen Tropfen herbeischaffen, es war eine unmögliche Forderung. Voller Wut rächte
sich der Teufel, indem er einen Eckstein vom mittleren Turm herausriss. Wir entdecken das in Stein
gehauene Teufelchen auf dem Tour du Diable, das sich scheinbar bemüht, einen Baustein aus der Mauer
loszureißen. Wir überqueren den Lot und gehen auf der anderen Flussseite zurück, vorbei an La Fontaine
de Chartreux zu unseren Autos, die vor unserem Hotel "La Chartreuse" auf uns warten. Wir starten zum
gemeinsamen Treffpunkt, Hotel Henri IV. in Éauze, wo wir gegen 9 Uhr abends eintreffen. Karin,
Bernhard, Karolin und Bettina sind schon da und begrüßen uns freudig. Wann werden wohl Toni, Manfred,
Helga und Edgar ankommen? Noch während des Abendessens klopft es an die bereits verschlossene
Eingangstür unseres Hotels: Sie sind da, unsere Nachzügler!
Wir freuen uns auf die Tage, die vor uns liegen. Etwas Unbestimmtes, Unbekanntes, etwas Verlockendes
voller Ungewissheiten bewegt uns alle, uns gemeinsam auf den Weg zu machen, die Sehnsucht nach einem
unbekannten Ziel - ein uraltes Geheimnis - nicht nur zur Zeit der Jakobspilger!
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