Samstag, 24.10.1998 - Von Maslacq nach Navarrenx
Wer morgens vor dem Frühstück die Autos bis Navarrenx vorgefahren hat, ist mir nach so langer Zeit
zwischen Wandern und Niederschreiben nicht mehr im Gedächtnis haften geblieben; wohl aber, dass wir
beim Frühstück bereits wussten, was uns an Köstlichkeiten und Service erwartet, da dies bereits unsere
zweite Übernachtung im Hotel Maugouber in Maslacq war.
Nachdem der schon im Ruhestand befindliche Patron uns in aller Ruhe das echt französische Frühstück
serviert hatte, bereiteten wir den Aufbruch vor. Vom Hotel zum einzigen Bäcker, Metzger oder
Lebensmittelladen im Ort war es nicht allzuweit zu laufen, doch das Verproviantieren und Vorbereiten
des Marschgepäckes braucht eben seine Zeit. Nicht zu vergessen das obligate Zähneputzen, das wir an
diesem Morgen in vollzähliger, froher und schon recht lustiger Runde regelrecht zelebriert haben,
zumal sich Toni als einmaliges Fotomodell mit Urlaubshut vom Bodensee und Drosselbart präsentierte.
Schließlich setzten wir unseren Weg fort und wanderten auf der D 9 Richtung Süden. Vom Hotel ging es
zuerst am Schloss von Maslacq vorbei, einem sogen. Stadtschloss aus dem 18. Jahrhundert. Schenkt man
den Hinweisen in den Wegbeschreibungen Glauben, so bediente sich der französische Schriftsteller Francis
Jammes vor langen Jahren seiner als Schauplatz des Romans „Clara d'Ellébeuse“. Je näher wir herankamen
und über die hohe, alles abschirmende Mauer blickten, desto weniger war vom Glanz der vergangenen Zeiten
noch zu erkennen. Dafür konnten wir einen wunderschönen Sonnenaufgang im Morgennebel miterleben. Links
und rechts des Weges, der uns auch an den Ruinen der ehemaligen Abtei von Maslacq vorbeiführte, stieg
über den Maisfeldern und Gärten mit spärlichen Weinreben der Morgennebel auf und verschleierte die Sonne,
die uns einen schönen Tag bereiten sollte.
Wir hatten Maslacq kaum verlassen und uns an einer Wegkreuzung auf den nassen und matschigen GR 65-Weg
orientiert, als uns drei Einheimische entgegenkamen. In herrlichstem Französisch berichteten sie von
der Unbegehbarkeit unseres gewählten Weges, sodass wir schnell überzeugt auf den sich als Alternative
anbietenden festen Weg auswichen. Dieser führte uns streckenweise am Flüsschen Gave du Pau entlang, das
in den Pyrenäen bei Gavarnie entspringt und vor allem den Lourdes-Pilgern unter uns noch in bester
Erinnerung war
Das am Wegesrand liegende verfallene, alte Gemäuer lockte viele von uns zu einer Fotopause, nach der die
Gruppe etwas auseinanderfiel, denn vor uns lag ein recht steiler Anstieg auf einem sehr steinigen, wieder
historischen Weg. Oben endlich angekommen, stellten Manfred und Bernhard Erkundungen an über das hier auf
einem Felsvorsprung des Gave du Pau errichtete Oratorium Notre-Dame de Muret. Wir hatten vor, dort unsere
allmorgendliche Einstimmung zu halten, doch der Abstecher war uns dann vom eigentlichen Weg doch zu weit
entfernt, sodass wir unsere Meditation auf später unter freiem Himmel verschoben.
Von der Höhe, wo sich der Nebel bereits aufgelöst hatte, boten sich stellenweise recht schöne Ausblicke
in das Tal, wo die Erdgasanlagen von Lacq noch im Nebel lagen. Hier oben kreuzten wir die D 9 und folgten
dem markierten GR 65. Unser Weg verlief von nun an nicht mehr identisch mit dem historischen Jakobsweg,
der auf diesem Stück nach Sauvelade unpassierbar geworden ist, sondern in einem etwas weiter ausholenden
Bogen über einen einfachen, die verstreuten Höfe verbindenden Teerweg, an dessen Rand wir uns zur Meditation
versammelten.
Auf diese geistige Stärkung folgte in nicht allzu großer Entfernung dann auch eine leibliche Stärkung mit
Schokobrötchen, Obst, labendem Wasser oder was unsere Rucksäcke sonst noch so alles hergaben. Während die
meisten rasteten und die Beine lang machten, erkundete Edgar die Umgebung. Als er endlich zurückkam,
berichtete er stolz, aber auch erleichtert von seiner Entdeckung: er hatte eine WaldCapelle (WC) mit
Wasserspülung und Air Condition ausfindig gemacht.
Nach dieser Pause meisterten wir wieder wohlgemut den durch eine herrliche Landschaft auf- und abführenden
Weg, der uns zur Mittagszeit in die alte Kirche der früheren Zisterzienser-Abtei Sauvelade führte. Im Tal
des Flüsschens Laa liegt die dem Apostel Jakobus d.Ä. geweihte Kirche, die ursprünglich zu einem 1128
gegründeten Benediktinerkloster gehörte. Um 1286 kamen dann Zisterzienser aus der Abtei von Gimont nach
Sauvelade. Beachtenswert sind in dem durch die Hugenotten und die Französische Revolution stark in
Mitleidenschaft gezogenen Kloster jedoch noch heute die Kirche mit den romanischen Absiden. Wichtigste
Ausstattungsstücke im sonst etwas desolaten Innern sind eine Jakobus-Statue sowie ein Weihwasserbecken,
das aus einer gallo-römischen Säule gefertigt wurde.
Weiter ging es, vorbei an der in den alten Klostergebäuden neu eingerichteten Gite, und ein Stück über
die D 110, die wir jedoch bald wieder verlassen konnten, um auf einem Schotterweg dem GR durch die Täler
und über die Höhen zu folgen. Wir waren schon auf der Suche nach einer geeigneten Stelle für die Mittagsrast,
als endlich auf dem Höhenweg der wunderschön restaurierte Hof „Bignan“ unsere Aufmerksamkeit erweckte.
Dieser Hof, der als besonders typisch für die Gegend des Béarn beschrieben wurde, lockte uns aber auch
mit seinen schönen Garten und den Mäuerchen zum rasten. Die Bewohner, selbst gerade mit den Vorbereitungen
für ein Mittagessen im Freien beschäftigt, erlaubten uns dann auch bereitwillig, ihre speziell für
Jakobspilger errichteten Gartenmäuerchen für unsere Rast zu nutzen. Diese sollte ihren krönenden Abschluss
in einem mehrfach offerierten und schließlich auch nett kredenzten Kaffee nach dem Essen finden. Unser
herzlicher Dank wurde in einem mehrstimmigen Ständchen zum Ausdruck gebracht, dem das Austauschen von
Adressen und einige Fotoshootings folgten. Eine solch nette und gastfreundliche Begegnung war uns bislang
noch nicht widerfahren, und der Abschied von dieser Oase fiel einigen recht schwer.
Doch wir mussten weiter über den Bergkamm nach Navarrenx. Im Laufe des Nachmittags kamen wir an mehreren
Stellen vorbei, an denen wir Wasser nachfüllen konnten, das uns mit den vielen Aufs und Abs sehr gelegen
kam. Und oft fiel unser Blick zurück auf die Höhe, wo wir in immer größer werdenden Entfernungen den Hof
„Bignan“ zu lokalisieren versuchten, der uns mittags beherbergt hatte.
Nachdem wir den Rosenkranz gebetet hatten, kamen wir wieder im Tal an, überquerten dort das Bächlein
Saleys, bevor der Weg uns wieder steil berauf zum Hof Labarthe führte. Von dort wiesen unsere Beschreibungen
mehrere Varianten und Möglichkeiten aus, die sich mit den Markierungen am Wegesrand jedoch nicht vereinbaren
ließen.
Glücklicherweise kam uns ein Bauer auf seinem Traktor entgegen, der uns Rede und Antwort stand und
dessen Rat wir schließlich folgten. So erreichten wir kurz vor Navarrenx, inzwischen wieder auf dem
regulären GR, den Vorort Méritein, wo sich GR und D 947 kreuzen. Ermüdet von den vielen Höhen und Tälern,
die wir an diesem Tag zurückgelegt haben, ließen wir uns noch einmal kurz zur Rast nieder. Ein von dichtem
Moos sehr weiches und gut gepolstertes Mäuerchen über einem schmalen Wasserlauf bot eine willkommene und
sehr komfortable Sitzgelegenheit für unsere müden Glieder. Manfred nutzte die Pause sogar für ein erfrischendes
Fußbad. Nach diesem Halt machten wir uns dann auf die letzten Meter nach Navarrenx, wo drei der vier Autos
auf uns warteten, um uns wieder zurück nach Maslacq zu bringen.
Durch einige neu gebaute Straßen und Stadtumgehungen stimmte der Weg ins Stadtzentrum nicht mehr ganz mit
den Beschreibungen in unseren Heften überein. Aber der Kirchturm wies uns schon von weitem den Weg. Während
die meisten sich in der kalten und wenig einladenden Kirche umsahen, erkundigte ich mich in einem kleinen
Modeladen nach dem Pfarrhaus. Vielleicht war der Pfarrer da, um uns auch hier einen Stempel für unseren
Pilgerausweis zu geben.
Das Pfarrhaus lag auf der anderen Seite des Kirchvorplatzes, nur einige Schritte entfernt. Der Curé, der
sich über unseren Besuch freute, führte Toni und mich in sein Büro, das sich uns allerdings weniger wie
ein täglich benutztes Büro, sondern vielmehr wie ein verstaubtes Archiv offenbarte. Doch ausgestattet war
es mit modernster Technik wie Fax und Anrufbeantworter. Wir erhielten nicht nur den Stempel, sondern auch
noch einen netten Kommentar in unser kleines Pilgerbuch sowie eine Einladung zum Sonntags-Gottesdienst mit
anschließendem besonderen Pilger-Frühschoppen.
Schließlich verteilten wir uns auf die drei Autos, die - nachdem alle Einkäufe erledigt waren - unabhängig
voneinander nach Maslacq zurückkehrten. Ich fuhr bei Manfred mit, und unterwegs erkundeten wir diverse
Möglichkeiten, um die Vorabendmesse mitfeiern zu können. So verlockend das Angebot des Pfarrers von
Navarrenx auch gewesen ist, es hätte uns zuviel Zeit gekostet. So fuhren wir noch vor dem Abendessen in
die kleine Kapelle des benachbarten Sarpourenx. Toni durfte nicht nur mitzelebrieren, sondern wir durften
auch einige unserer Lieder singen, was bei den anwesenden Franzosen sehr gut ankam. So wurde die Messe
unser Beitrag zur deutsch-französischen Völkerverständigung.
Hungrig und müde, aber auch glücklich und zufrieden kehrten wir ins Hotel nach Maslacq zurück, wo wir
erst das Essen und schließlich die wohlverdiente Nachtruhe genossen.
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