Dienstag, 20. Oktober 1998 - von Nogaro nach Aire-sur-l’Adour

Aufbruch um 08.50 Uhr vom Hotel. Manfred und Karolin waren vorgefahren und hatten den Audi ein paar km vor dem Ziel an der Straße abgestellt. Weil die Route am Vortag sehr saftig war, mieden wir den Pfad durch Wiesen und Felder, stattdessen richteten wir die Schritte auf die alte Kirche. Nach dem Morgenlied folgte die Meditation des Tages: Wege! Es gibt viele Namen und Bezeichnungen und Differenzierungen für Wege. Der Weg bewegt. Wir müssen ihn suchen, um ihn zu gehen, obwohl er vor uns liegt. Er ändert auf jedem Schritt unseren Blick. Er macht uns offen und aufmerksam für vieles, was zuvor unbeachtet war, er birgt an beiden Seiten eine Fülle. Er verändert uns - unsere Einstellung, unser Verhalten, unsere Wahrnehmung, unseren Umgang... Unterwegs ereignet sich unser Leben. Nach vorne leben wir, nach rückwärts verstehen wir unser Leben.

Nach einem zweiten Lied und dem Pilgersegen schauen wir uns die Kathedrale genau an: Nogaro im 11. Jahrhundert gegründet, besitzt diese romanische Kirche, die wie die ganze Stadt während der Religionskriege im 16. Jahrhundert unter den Truppen Montgomerys viel gelitten hatte. Sie besitzt eine Haupt- und zwei kleinere Nebenapsiden. Herrlich sind die vielen romanischen Kapitelle, teils renovierungsbedürftig. Der Eingang zeigt im Tympanon Christus in der Majestät, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten. Gerade als wir gehen wollten, stehen zwei Männer vor uns: der alte und der neue Curé. Während der jüngere Priester den Stempel für unseren Jakobspass holt, erklärt der Vorgänger uns den Bau und die Restaurierungen der letzten Jahre. Nur mit Mühe können wir uns schließlich trennen und unseren Weg bergauf fortsetzen.

Auf der Höhe angekommen, haben wir die schnurgerade Römerstraße vor uns und erstmals in der Ferne die schneebedeckten Pyrenäengipfel! Wir stehen und staunen: Herrlich schön! Linkerhand stehen eine Gruppe Tanks für den Armagnac. Wir riechen ihn wenigstens! Schnell zieht sich die Gruppe weit auseinander; auf der Straße ist wenig Verkehr bis hinunter zur Brücke über den Izante-Bach. Dort folgen der RN auf etwa 600 m und biegen links in die Prärie ab.

Das Wetter ist herrlich: der Himmel ist blau und ganz wolkenfrei. Mal ist der Weg geschottert, mal geteert, mal ist er ein Erdweg, nur festgefahren, mal führt er durch den Wald, an einer Stelle müssen wir einen großen Bogen um den Matsch machen. Nur mit Mühe kann Edgar Helga aus dem Sumpf befreien. Zur Mittagspause sitzen wir auf einer Böschung an einem Wingert - in einer langen Reihe. Ein Pilger ist oben ohne und hat seine Utensilien zum trocknen über die Reben gebreitet (Bernhard misst 41 Grad in der Sonne).

Auch nach der Mittagspause - die Pyrenäen waren wieder im Blicke - sind die Steigungen eher mäßig. Ab und zu halten wir Nachlesen in den Wingerten - wo die Pflückmaschine oben oder unten nicht hinkam oder am Ende der Reihe Feigenbäume auf uns warten - leider sind die Früchte ziemlich klein. Bibelgeschichten von Feigenbäumen kommen zur Sprache. Ab und zu greift auch Regina zu einer Feige. Brigitte und Co können sich der sog. Feigenphilosophie leicht anschließen: Wir befreien die Sträucher von ihren Lasten. Schließlich haben sie die Früchte getragen, um unser Herz zu erfreuen. Wir dürfen sie gar nicht verachten - und hängen lassen. Die Bäume wären uns böse und versorgten möglicherweise keine Jakobspilger mehr. Immer häufiger passieren wir auch Maisfelder.

Die Adlerin hat sich abgesetzt und fliegt uns weit voraus. Dann geht es auf eine gute Strecke durch den Wald. Wir passieren einen kleinen Bauernhof mit Enten, die sich neben einem kleinen Teich sonnen: Fotomotiv! Dann gehen die Enten baden. Es folgt eine weite Ebene mit Viehweiden. Erstmals treffen wir neben einem schönen Haus Palmen im Freien an. Die Teerstraße tut den Füßen weh. Aber noch sind es 3 km schnurgerade neben den Bahngleisen in stechender Sonne. Wir überqueren, gehen 100 m und sind am Audi! Plötzlich heißt es: alle Fahrer zurück nach Nogaro! Der heilige Rest sucht eine Wiese neben der Straße auf und macht sich flach.

Um 17.00 Uhr sind wir in Aire-sur-l’Adour und finden nach ein paar Winkeln das Hotel: Waschen, umziehen, Aperitif. Um 19.30 Uhr ist Abendessen. Bis dahin ist Stadterkundung mit Manfred. Die Eingeborenen haben sich bereits verzogen; die Straßen sind fast leer; das Syndicat hat schon geschlossen. Die Kirche St. Sebastian ist von außen ansehnlich und vielversprechend. Doch im Innern ist sie total verwahrlost. Auch Bernhard und Karin waren auf dieser Route. Der alte Sarkophag ist ein Abguss. Zum Abendessen: Gemüsesuppe, Forelle, Fleisch mit Knoblauch und Bohnen, Primeur.

Wir besprechen den dritten Tag. Gegen eine anfängliche Neigung soll der „Rest von ca. 6 km vor Aire sur l’Adour“ nicht nachgeholt werden. Von Aire bis zur Kirche von Sensacq werden es ca. 22 km sein. Dort sollen am nächsten Morgen drei Autos abgestellt werden, die uns nach Aire zurückbringen, - in der Nähe von Sensacq gibt es keine Unterkunft. Gegen 23.00 Uhr ist Bettruhe.

Toni

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