Montag, 26.10.1998 - Von der Kirche von Olhaiby nach Utxiat ca. 23 km

Bei unserem Aufbruch in St. Palais ist es noch ein wunderbarer Morgen.

Später in der kleinen romanischen Kirche von Olhaiby meditiert Toni über Ruinen. Möglicherweise wurde er durch jenen verfallen Schuppen hinter Maslacq inspiriert, dessen Stimmung und Ästhetik mich damals so angerührt hat. Um 9.45 Uhr ziehen wir los, nicht ohne noch einmal den „Hund in der Tonne“ beim nahen Bauernhof bewundert zu haben. Schon nach 10 Minuten hat sich alles verändert: Regencapes heraus! Hinter dem Bauernhof Etcheberria erhalten wir einen kostenlosen Erlebnis-Urlaub unter dem Stichwort „Matsch total“. Mit meinen Turnschuhen gewinne ich dem Ganzen einen besonderen Genuss ab. Allerdings müssen wir schon durchaus vorsichtig auf der anderen Seite hinabsteigen. Bettina verdreht sich trotzdem das Knie! Gut, dass der Weg bald wieder halbwegs fest wird. Mit dem sich aufklärenden Wetter gewinnen wir auch wieder die Landstraße, am nächsten Gehöft packen einige das Regenzeug wieder ein, jedoch nicht für lange. Beim Weitermarsch erleben wir, wie man mit einem Pkw Kühe die Landstraße entlang treibt. Vor uns taucht bald ein Hügel auf, auf dem ich Hiriburia mit dem Gibraltar-Stein vermute. In Larribar-Sorhapuru machen wir an der Kirche Mittag - etwas früh, wenn ich an die gelaufene Strecke denke, aber bei Sonnenschein. Oder sollte doch auch bei uns das Wort zutreffen: „Um 12 Uhr…“ Ich bin jedenfalls ungeduldig, kommt bei mir doch immer stärker das Bedürfnis auf, das Ziel Gibraltar, die Vereinigung der drei großen Pilgerwege, endlich zu erreichen. Da ist mir so ein Aufenthalt kurz vor dem Ziel wirklich lästig. Bald folgen wir jedoch wieder dem Weg, der zunächst ins Tal führt. Unten, vor Etchartion finde ich das erste Hinweisschild in Blau: Camino Santo Jacobo, was die Erwartungen nur noch weiter antreibt. Eine idyllisch gelegene Brücke führt kurz dahinter über den Bidouze-Fluss, dann zieht sich ein malerischer Weg oder besser Pfad bergauf. Als die Höhe erreicht ist zunächst Ernüchterung: Matsch und Ziegengestank. Am Ortsausgang von Hiriburia habe ich Gibraltar immer noch nicht gefunden - also wieder kehrt! 50 Meter zurück biegen Karolin, Karin und Bettina gerade nach links ein. Sie haben die Stelle, obwohl sie so unscheinbar ist, sofort gefunden. Auch die restliche Gruppe ist gleich da.

Da stehen wir nun um 13.40 Uhr, fast ist noch Mittagspause, an dem Gibraltar-Stein, der Vereinigung der Wege von Paris, Vezelay und Le Puy! Welche Gefühle bewegen uns? Das Bewusstsein, auf dem richtigen Weg zu sein? Jedenfalls eine wichtige Zwischenstation! Der Stein wird nach allen Regeln der Kunst fotografiert, ein Gemeinschaftsfoto darf nicht fehlen. Dann schon wieder allgemeiner Aufbruch! Mir fällt es offensichtlich etwas schwerer. Schließlich bin ich 4 Jahre lang zielstrebig auf diesen Platz zugelaufen. Aber vielleicht haben die anderen nur einfach schneller kapiert, dass man, um ans Ziel zu kommen, auch solche Orte hinter sich lassen muss. Wieviele Menschen mögen an diesem einsamen Ort vorbeigekommen sein während der Jahrhunderte? Schließlich löse ich mich auch von dem geheimnisvollen Platz, aber ich muss noch oft zurückschauen.

Der Weg führt in weitem Bogen, mit grandioser Weitsicht, hinauf zur Kapelle von Soyarza, ein alter Prozessionsweg. Oben ist es zugig wie auf der Wasserkuppe in der Rhön. Einen kurzen Aufenthalt legen wir noch an der Kapelle ein. Ein Buch für die Pilger zeigt uns, dass unser Franzose auch schon hier gewesen ist. Auf der anderen Seite geht es wieder hinunter, an der baskischen Stele vorbei, von der ich gelesen habe, nach Harambeltz. Früher ein bedeutendes Hospiz ist es heute nur noch ein armseliges Kuhdorf, dessen kleine Kirche (mit dem Taubenschlag-ähnlichen Anbau am Turm) die vergangene Herrlichkeit wahrhaftig nicht mehr ahnen lässt.

Wir gehen nach rechts in den Wald hinab, kommen wieder einmal an den geheimnisvollen Vogelfallen der einheimischen Jäger vorbei. Kaum haben wir die Höhe gewonnen, geht es erneut hinab ins Tal, schließlich am Gehöft Lagunatua vorbei, das schon wieder auf der nächsten Anhöhe liegt. Der Abstieg nach Ostabat - erneut ein klangvoller Name aus der Geschichte des Jakobsweges, aber mehr auch nicht - erinnert mich an die Pilgerwege des ersten Jahres (Abstieg vom Aubrac). Er beginnt an einer (neuen) Stele mit offensichtlich baskischen Zeichen. (Für uns könnten es auch Hieroglyphen sein!). Aber der Stein sieht schön aus. Der Weg geht in einen feuchten Pfad über, den Steinmauern begrenzen. Am Eingang zum Unterdorf ist ein Bach zu überqueren, nicht jeder von uns entdeckt die kleine Brücke an der Seite, dennoch ist der Bach auch für diese kein ernsthaftes Hindernis. Die Straße steigt an zum Oberdorf. Ob wir den Anstieg auch so leicht geschafft hätten, wenn wir nicht von dem entgegenkommenden Bauern erfahren hätten, dass es da oben eine Kneipe gibt, wird wohl nie zu beantworten sein. Vor der Bar, unter einem großen Baum, steht gerade die richtige Zahl von Tischen und Stühlen. Wir lassen uns mit Kaffee, Tee, Cola und Bier verwöhnen. Eine Pilgerin ergattert sogar noch ein Kaffee-Stückchen!

Es ist 16.00 Uhr und noch liegt einiges vor uns. Der Weiterweg wird noch einmal feucht. Während unserer Pause hat es unmerklich zu regnen angefangen. Erneut muss das Regenzeug heraus. Gegen 17.15 erreichen wir endlich Larcevaux, es regnet noch immer. Der letzte Kilometer an der verkehrsreichen D 933 war alles andere als erquicklich. Toni erklärt, dass das heutige Etappenziel erreicht ist, das Hotel ist ja nur ein paar Meter entfernt. Walters Auto ist jedoch in Utxiat zu holen und ich mache mich mit ihm auf, es widerstrebt mir, ihn allein in Regen und Dunkelheit zu schicken. Später folgt Regina und auch Manfred und Brigitte fühlten sich wohl noch nicht genügend durchnässt. Für die drei Kilometer waren kaum mehr als 20 Minuten erforderlich. Gegen 18 Uhr sind wir schon im Hotel, wo Edgar uns gleich auf die Parallelen zu Montcuq aufmerksam macht. Unangenehm ist es, die Zeit zu überbrücken, bis mit den übrigen Autos auch das trockene Zeug beikommt, auf das wir so dringend warten. Die Heizung funktioniert natürlich nicht. Aber der Speisesaal, den wir immer durchqueren müssen, um unser Zimmer zu erreichen, ist vielversprechend hergerichtet. Wir werden in dieser Beziehung nicht enttäuscht - am Abend.

Bernhard

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