Montag, 2.10.2000 -
Von Castrojeriz nach Frómista - (25 km)
Ein schöner Weg ist es, den wir heute Morgen gehen, abwärts in ein Flusstal über saftige Wiesen. Eine
kleine romanische Brücke führt uns über das Flüsschen Odrilla. Die Sonne scheint, der Wind hat sich
anscheinend gestern ausgetobt. Heute Morgen lässt er uns in Ruhe.
Am Horizont sehe ich einen hohen Berg, mitten im Weg. Ich fürchte, den müssen wir ersteigen! Es gibt
kein Vorbeigehen! Beim Näher kommen erkenne ich unseren Pilgerpfad, wie er sich ganz schön steil am Berg
hin und herschlängelt. Es ist der Hang von Mostelares, den es jetzt hinauf geht.
Aber was ist jetzt los? Ein fremder Mann, wahrscheinlich ein Spanier, geht auf Brigitte zu, begrüßt sie
und gibt ihr einen Kuss! Und jetzt ist Regina an der Reihe! Und Karin! und Beatrix! Alles geht so schnell,
und er macht das so charmant, keine Zeit zum Protest. Und jetzt kommt er auch noch zu mir! Gottlob habe
ich von ähnlichen Begegnungen gelesen. Es soll den Leuten Glück bringen, wenn sie einen Peregrino oder
eine Peregrina umarmen, die unterwegs sind nach Santiago. Bei Edgar und Bernhard ist er mit einem Händedruck
zufrieden. Er wünscht uns Glück für unseren Weg zum Apostelgrab.
Gar so schwierig ist es doch nicht, den Hang hinaufzusteigen. Aus der Ferne sah alles viel schlimmer aus.
Auf dem Plateau ist wieder so eine Stelle, wo viele kleine und große Steine zu Mäuerchen und vielen Türmchen
aufgeschichtet sind. Wir haben einen schönen Rundblick, zurück nach Castrojeriz mit der Burg und vor uns
in der Ferne den Rio Pisuerga dort müssen wir hin. Hier oben ist der richtige Platz für unsere morgendliche
Meditation. Über den Wind spricht Toni, er vergleicht ihn mit Gottes Geist. Nun geht es wieder den Abhang
hinunter, so steil wie wir aufgestiegen sind. Flügel müsste man haben es wäre wunderschön, den Berg
hinunterzufliegen nur ein paar Meter über der Erde!
Wir wandern vorbei an Stoppelfeldern bis wir nach ca. 7 km zur Fuente del Pioja, zur Läusequelle kommen.
Eine feine Sache ist so eine kleine Erfrischung.
Und weiter führt unser Weg über die berühmte mittelalterliche Brücke von Itero über den Rio Pisuerga,
eine Brücke mit 11 Bögen. Früher war hier die Grenze zwischen León und Kastilien, heute endet hier die
Provinz Burgos. Ein Grenzstein macht uns darauf aufmerksam, dass wir nun die Provinz Palencia betreten.
Wir haben Hunger. Ein kleines Mäuerchen, nicht gerade bequem, bietet sich an zum Rasten. Was soll's
wir sind Pilger! Unsere Speisekarte ist umfangreich. Das Tagesmenü von Manfred besteht aus Lyoner mit
Plombe, bei Brigitte gibt es Eselswurst mit Feuer, bei Beatrix Oliven in Öl, und Edgar und ich genießen
unseren gekochten Schinken von Aldi.
Und wieder führt unser Weg durch die Meseta Rosenkranzgebet, wie immer nach dem Mittagessen. Toni
schließt mit einer Meditation, die mir besonders gut gefällt:
Du gehst nicht allein
Immer wieder aufbrechen und den Weg suchen.
Wenn auch der Fuß an Steine stoßen,
das Gewicht auf dem Rücken
und die Last deiner Jahre dich drücken wird.
Wenn die Sonne dich mit glühenden Lanzen sticht,
und der Regen dich durchnässen wird.
Müde sein und wieder gestärkt werden,
straucheln, fallen und wieder aufstehen.
Vielleicht gesellt sich ein Weggefährte zu dir
auf dem langen Weg.
Neue Begegnungen warten auf dich.
Du fühlst dich getragen von guten Gesprächen,
Worten, Gesten, Blicken,
von warmer menschlicher Berührung.
Und vielleicht leuchtet mitten in der Mühsal des Alltags
ein heller Stern auf,
dessen Ursprung von weither kommt.
Du spürst: du gehst nicht allein.
Unter ein paar Bäumen finden wir einen Pilgerbrunnen. Ein Rad muss gedreht werden, und schon sprudelt
frisches Wasser aus der Quelle. Nicht so schnell drehen, Toni! Wolfgang und Toni knien sich, und aus
dem köstlichen Nass wird eine kalte Dusche. Wolfgang ruft: "Ach wie toll, ich meine ich wäre im 3 Sterne
Hotel." Über den Canal del Pisuerga wandern wir Richtung Boadilla. Es gibt keinen Schatten, nur ein paar
junge Bäume am Wegesrand. Boadilla war früher ein bedeutender Gerichtsort. Eine gotische Gerichtssäule
aus dem 15. Jahrhundert erzählt aus dieser Zeit. Hier wurde Gericht gehalten. Die Verurteilten wurden an
den Pfeiler gebunden. Grausam muss so etwas gewesen sein! In der Kirche finden wir ein sehr schönes
Taufbecken aus dem 14. Jahrhundert.
Hinter Boadilla führt unser Weg am Canal de Castilla vorbei. Es ist schön, hier zu gehen. Auf der rechten
Seite begleitet uns der Kanal, auf der linken Seite sind Kastiliens Frösche zu Hause! Hals über Kopf
springen sie in den sicheren Graben, wenn wir uns ihnen nähern. Der Kanal ist die Hauptbewässerungsader
der Region. Aus den baskischen Bergen bringt er das kostbare Nass in die kastilische Meseta. Eine
Schleuse des Kanals wird als Brücke benutzt, als Ruheplatz und als Fotomotiv:
Und nun ist es nicht mehr weit bis zu unserem Tagesziel Frómista, das wir um 17.15 Uhr erreichen. San
Martin heißt das Kleinod dieses Ortes, eine Kirche in früher spanischer Romanik, ein wunderbares Gotteshaus,
schlicht und voller Rundbogenformen, an der Außenseite figürlich verzierte Sparrenköpfe, jeder anders,
Menschen und Tiergestalten, Blätter und Blüten. 315 sollen es sein! Navarras Königin, Doña Mayor, die
auch die Brücke in Puente la Reina gebaut haben soll, hat sich nach dem Tod ihres Mannes in die Einsamkeit
der Meseta zurückgezogen und in Frómista ein Benediktinerkloster gestiftet. Die Kirche hat dazugehört.
Wieder ein Höhepunkt an unserer Pilgerstraße!
Von unserem Hotel San Martin haben wir einen schönen Blick auf die berühmte Kirche, deren warmer, gelber
Stein in der Abendsonne eine ganz besondere Ausstrahlung hat.
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