Samstag, 7.10.2000 -
Von Mansilla de las Mulas nach León (17 km)
Die Nacht im Hostal Los Faroles in Mansilla de las Mulas war kalt gewesen, selten habe ich so gefroren.
Auch die Autoscheiben waren morgens zugefroren und mussten nach dem Frühstück erst von einer dicken Eisschicht
befreit werden. Das war ziemlich anstrengend, da das Frühstück nicht sehr üppig, sondern wieder einmal echt
spanisch war: schlechte Aussichten auf eine lang anhaltende Sättigung. Und dann noch das Eiskratzen an allen
drei Autos doch so habe ich meine Wollhandschuhe wenigstens nicht umsonst eingepackt und bis hierher
mitgetragen. Da keines der Autos vorgefahren worden war, legen alle die nur kurze Strecke vom Hostal bis zum
Sanctuario Nuestra Signora La Virgen de Garcia zurück, an der Hauptstraße am Ortseingang gelegen. Bevor wir
aufbrechen, wird so gerecht wie möglich der letzte Schnaps verteilt, um Zähne zu putzen. Gerade heute Morgen
hätte uns das vielleicht etwas aufgewärmt, doch leider reicht es schon nicht mehr für alle. Trotz sparsamstem
Gebrauch versiegen hier und heute die diesmal recht spärlichen Vorräte.
Dann geht es los: erst einmal quer durch den Ort, den wir auf der alten Brücke über den Esla verlassen. Zu
dieser Uhrzeit sind noch alle Läden geschlossen; nur in der Pilgerherberge ist schon Leben und wir bekommen
die Stempel in unsere Hefte. Auf der Brücke bietet sich ein grandioser Blick zurück auf das hinter der
Stadtmauer in den Morgennebel gehüllte Städtchen, über dem gerade die Sonne aufgeht. Auch die zahlreichen
Spinnweben entlang des Weges präsentieren sich fotogen im Morgentau. Die ersten Kilometer führen uns parallel
der Straße an Maisfeldern und Wasserrinnen vorbei nach Villamoros. Wir durchqueren den Ort auf der Hauptstraße,
gehen auf dem Schotterweg an der Straße entlang weiter und kommen, nachdem wir die alte Brücke über den Fluss
Porma überquert haben, nach Villarente. Auch dieser Ort ist noch ziemlich verschlafen, obwohl wir bereits
einige Kilometer zurückgelegt haben. Brigitte sucht dringend eine Apotheke, und beim Suchen stoßen wir zuerst
auf eine Unmenge von Cafés, von denen eines den Namen "Viel Glück" trägt: schließlich finden wir nur einige
Häuser weiter eine sogar geöffnete Apotheke!
Hinter dem Ort geht es rechts ins Gelände, und immer bergauf. Hinter jeder Kuppe vermute ich León und hoffe,
wenigstens einen Blick bis dorthin bereits erhaschen zu können. Doch der Weg über die Höhen will kein Ende
nehmen. Das spornt zumindest Bernhard und mich an der Spitze noch mehr an und steigert (indirekt?) unser Tempo.
Wir kommen zum Canal del Porma und an einem Waschplatz vorbei und sind kurz vor der Arcahueja Höhe. Hier
legen wir eine kurze Rast ein. Bernhard schaut nach, ob die Kirche vielleicht geöffnet ist doch hier haben
wir im Gegensatz zu Villarente nicht "Viel Glück". Dafür gefällt uns der Rastplatz, der einen Jakobspilger
zu dem Kommentar verleitet: "Wenn wir es im Himmel doch soooo schön hätten!!!"
Wir wollen und müssen aber weiter und brechen auf zum nächsten Gipfel, hinter dem sich ganz bestimmt der
Blick auf León offenbart. Und Bernhard prophezeit: "höchstens 15 Minuten dann sind wir oben!" Keines von
beiden erfüllt sich. Als wir nach über einer halben Stunde oben ankommen, zeichnet sich vor uns wieder ein
gutes Stück Weg ab, der auf den nächsten Gipfel führt. In unseren diversen Büchern wird der Portillo Pass
als unscheinbar beschrieben, und auch der Wegverlauf hört sich ziemlich anders an. Deshalb ziehe ich von nun
an die Wegbeschreibung nicht weiter zu Rate heute ist eh kein Verlass auf sie. Dafür aber auf meinen Magen.
Um Punkt 12 Uhr sendet er intensive Hunger Signale aus, und so suchen Bernhard und ich eine geeignete Stelle,
um Mittag zu machen. Schließlich lassen wir uns auf der höchsten Stelle des Portillo Passes nieder, in
unwegsamem und dornigem Gelände, direkt neben der Straße, nicht weit von einer Baustelle aber eine Pause
muss sein: es ist schließlich 12 Uhr. Manfred kommentiert: "Um 20.30 Uhr gibt es die nächste Mahlzeit!"
Die Türme der berühmten Kathedrale von León entdecke ich erst, als wir schon eine ganze Weile den Berg
hinunter marschiert sind; immer dicht an der Straße und an einigen Baustellen vorbei. Schließlich kommen
wir in das Stadtviertel Puente Castro, wo uns goldene Pilgermuscheln in den Bürgersteigen wieder den Weg
weisen. Dieses ehemals jüdische Stadtviertel Leóns wurde im 13. Jahrhundert zerstört. Seinen Namen erhielt
es jedoch von der Brücke über den Fluss Torio, die zwar noch erhalten ist, zu deren Entlastung jedoch eine
neue Fußgängerbrücke gebaut wurde. Hinter der Brücke rasten wir kurz und konsultieren die Stadtpläne und
Wegbeschreibungen, suchen auf der Karte bereits unser Hotel und folgen dann doch einfach den Muscheln in
den Bürgersteigen. Der Weg durch die Vorstadtgebiete ist recht abwechslungsreich bzw. doch nicht so sehr,
da ich zahlreiche Frisörläden entdecke. Die Preise sind im Vergleich zu Deutschland extrem günstig, besonders
für Herren und erst recht für Senioren, die mit 500 Pesetas schon dabei sind. Bernhard, der immer noch
neben mir geht, fühlt sich irgendwie angesprochen und nicht ganz wohl in seiner Haut (oder besser: unter
seinen Haaren).
Wir nähern uns dem Stadtzentrum Leóns und kommen an den Resten der alten Stadtmauer vorbei und durch die
Puerta Moneda. Dieser Straßenzug führt direkt weiter zur romanischen Kirche Iglesia del Camino, heute Santa
Maria del Mercado genannt, da der Marktplatz ganz in der Nähe liegt. Im Innern dieser Kirche findet man
die Schutzpatronin, vor ihr die Wappentiere der Stadt die Löwen. Auf den Straßen herrscht rege Betriebsamkeit,
auf dem Platz vor dem neuen Rathaus tummeln sich zahlreiche Menschen und bestaunen Autos, Motorräder und das
quer über den Platz gespannte Hochseil. Auch wir kommen nur noch im Schneckentempo weiter, doch zum Hotel
ist es nicht mehr weit. Trotzdem sind wir zu früh, die Zimmer sind noch nicht alle fertig. Während wir warten,
besprechen wir, wie es weitergehen soll: lässt sich eine deutsche Stadtführung organisieren ... , wo und
wann können wir eine Abendmesse besuchen ... , wann und wo gibt es das Abendessen ... , wie kommen die Autos
nach León ... ? Endlich ist es soweit die Zimmermädchen haben ihre Arbeit beendet. Während wir die Zimmer
beziehen, fahren Manfred, Gert und Walter mit dem Taxi zurück nach Mansilla de las Mulas, um die Autos
nachzuholen. Kurz vor vier sind sie wieder in León. Wir verabreden uns für halb acht zur Abendmesse in San
Isidoro, einem der großen und herausragenden Meisterwerke der Romanik in Spanien bzw. für halb sechs zur
Besichtigung des berühmten Kirchenschatzes, da dieser nur im Rahmen einer Führung zugänglich ist.
Einen unruhigeren Gottesdienst als diesen in San Isidoro habe ich noch nie erlebt: auch während der Messe
reißt die Schlange vor den Beichtstühlen nicht ab, es ist ein Kommen und Gehen, man hört ununterbrochen
ein Gemurmel und Geschnatter, Kinder schreien, ein Handy hört nicht auf zu klingeln, Manfreds Platz ist
nach dem Gang zur Kommunionbank einfach nicht mehr sein Platz.... Nach der Messe debattieren wir über eine
mögliche deutsche Stadtführung, deren Terminierung sich als äußerst problematisch gestaltet. So schlendern
wir zum Rathausplatz, wo atemberaubende Hochseilakrobatik geboten wird, bei der ich fast das Atmen vergesse.
Da ist auch das Abendessen schnell vergessen, besonders bei unserem Chefe, der sich als letzter an der Tafel
einfindet. Krönender Abschluss des Essens ist der von einem äußerst netten Kellner mit Deutschkenntnissen
servierte Grappa, der mir allerdings solo ohne Kaffee noch viel besser schmeckt.
Vorm Zubettgehen klappere ich in Begleitung meiner Bodyguards Manfred und Toni noch einen Bankautomaten
nach dem andern ab, um an Bargeld für die Hotelrechnung zu kommen, doch leider ohne Erfolg. So schlendern
wir schließlich ein letztes Mal zur schön beleuchteten Kathedrale, machen einige Nachtaufnahmen und beschließen
den Abend bei einem samtigen Brandy Veterano
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