Sonntag, 7.10.2001 -
Von Ribadiso nach Arca
Lange hatten wir gestern darüber diskutiert, wie weit wir heute gehen wollten, wo der am besten geeignete Zielpunkt
sei und uns schließlich auf die Tankstelle bei Arca (oder Pedrouzo) geeinigt: Die Tagesstrecke richtig bemessen,
eine angemessene Entfernung für die morgige letzte Etappe vor Santiago und vor allem ein Punkt, an dem sich Straße
und Jakobsweg kreuzen und daher mit den Autos gut erreichbar. Im Grunde war es der einzig vernünftige Punkt, alle
anderen noch so gut gemeinten Vorschläge und Vorbehalte waren einfach unrealistisch.
Gegen 8 gehe ich mit Gert zum Frühstück; soeben sind Karolin und Walter zurückgekommen, die Bernhards Auto in Arca
abgestellt haben.
Wir wollen um ½ 9 Uhr abfahren; es regnet zwar im Moment nur wenig, aber das Wetter sieht nicht sehr freundlich aus;
es ist nichts gutes zu erwarten. Große Überlegung: ziehen wir die Gummihosen an oder nicht, bleibt das Wetter so
oder wird es besser. Die Meinungen sind unterschiedlich; die Wandergruppe "Die Kilometerfresser" würde heute weder
mit noch ohne Regenhosen loslaufen sondern auf jeden Fall zu Hause bleiben. Um es vorweg zu sagen: Das einzig
Beständige an diesem Tag wird die Unbeständigkeit des Wetters sein, mit einem deutlichen Übergewicht auf Schlecht.
Aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Kurz vor 9, wir haben unseren Ausgangspunkt erreicht, stellen unsere Autos auf dem Parkplatz vor einem einsam "in
der Pampa" gelegenen Café ab und laufen los in Richtung Ribadiso. Ein Pilger aus Deutschland kommt uns entgegen,
offensichtlich auf dem Rückweg von Santiago. Auch er hat wenig Lust zu einem langen Gespräch bei dem schlechten
Wetter; ein paar Worte, woher, wohin und gute Wünsche, dann geht jeder wieder seinen Weg. Schon vor ein paar Tagen,
war es kurz vor Portomarin?, waren uns Leute, von Santiago kommend, entgegengekommen. Was mag jetzt ihr Ziel sein?
Nach Hause kommen, die Pilgerschaft ganz perfekt, so wie im Mittelalter, gehen?
Bald erreichen wir Ribadiso, nachdem wir den Rio Iso auf einer kleinen alten Brücke überquert haben. Der Ort schläft
noch, kein Wunder, Sonntag Morgen, Wetter (siehe oben), was soll da jemand vor der Tür.
Nachdem wir aus dem Tal emporgestiegen und Arzua erreicht haben, erfasst uns auch der stürmische Wind. Wir sind
froh, in der Ortsmitte eine Bäckerei zu finden, wo wir uns für den heutigen Tag verproviantieren können. Eigentlich
ist es in der warmen Bäckerei viel schöner - und der Duft - warum müssen wir eigentlich weiterlaufen? Santiago!
Santiago.
Was solls. Wir lassen uns nicht verdrießen und marschieren frohgemut weiter. Wir kommen an der kleinen Kapelle La
Madalena vorbei. Leider ist sie auch am Sonntagmorgen geschlossen, aber dafür gibt es Stempel. Kurz vor 10 verlassen
wir endlich die Stadt (sicher eine der zweitschönsten Spaniens - oder liegt das nur am Regen?) und steigen in ein
kleines Tälchen hinab, wie wir sie am Vortag schon vielfach gesehen haben. Plötzlich sind wir 17. Ein kleiner Hund
trottet schon eine ganze Weile in unserer Mitte. Hat Brigitte schon wieder ........?, bis der chefe "Mensch Manfred,
jach dochemal den Hund fort, wofer haschde dann dei Stock" die Sache wieder in ihre richtige Bahn lenkt. (Man kann
doch nicht einfach einen Hund mitnehmen!).
½ 11 Uhr. Wir laufen an dem Ort Perranuegna vorbei und unterqueren dann in einem Tunnel die Nationalstraße. Hatten
wir eben mal Sonne? Ein heftiger Schauer mit stürmischem Wind überrascht uns auf der Höhe, die wir nun der Länge
nach überqueren müssen. Es heißt wieder: Regenmäntel raus, Kapuzen über, lange Hosen an, usw. usw. In einiger
Entfernung sehen wir jetzt hinter uns Arzua, regenverhangen, die Wolken jagen darüber hinweg. Kurz vor 11 passieren
wir die 7-km-Marke. Es sind noch 33 km nach Santiago.
Wir betreten den kleinen Weiler Tavernavella. Der Name hört sich nicht schlecht an, denn wir suchen schon geraume
Zeit nach einer Stelle, wo wir uns ein wenig ausruhen könnten. Wir haben genau 8 km zurückgelegt zu diesem Zeitpunkt,
in Anbetracht des schlechten Wetters, des dauernden Aus- und Anziehens der Regenbekleidung eigentlich ein guter Weg.
Wir hoffen, bald eine Stelle zu finden, wo wir Pause machen können. Mittlerweile scheint auch wieder die Sonne, aber
wie es aussieht wird es nur von kurzer Dauer sein, denn über uns jagen die Wolken dahin, Berge in unmittelbarer Nähe
sehen wir in Wolken und Regen gehüllt. Leider wird nichts aus unserer Pause.
Turmhohe Eukalyptusbäume säumen unseren Weg, der in einem leichten Abschwung wieder ins Tal führt. Der Sturm preift
in den Wipfeln der Bäume, dass wir unser eigenes Wort kaum verstehen können. Wir passieren Calzade; eine Kneipe, ein
Speicher oder so etwas ist leider nicht in Sicht.
12 Uhr, wir haben jetzt gerade 10 ½ km zurückgelegt und kommen nach Calle. Ein Maisspeicher bildet eine Brücke über
einen schönen, mit riesigen Platten gepflasterten Weg. Bernhard, Beatrix, Toni und ich haben vor einer knappen halben
Stunde in einer Bushaltestelle ein wenig Kleiderpflege gemacht, die Pullover gewechselt, Beatrix' Blasen versorgt und
laufen jetzt schon seit einer guten Zeit hinter der Gruppe her.
Endlich gelangen wir an einen wunderschönen kleinen Platz, es sieht aus wie eine richtige Taverne oder ein Café.
Ein Zeltling ist aufgebaut. Die ersten sitzen schon in einer Art Scheune, die sich hinter dem Zeltling öffnet,
andere vor dem Haus im Freien, haben schon einen heißen Kaffee vor sich stehen. Es sieht mal recht gemütlich aus.
In einer der schönsten Bodegas ganz Spaniens machen wir unsere Mittagspause. Leider ist die Hausfrau zur Zeit auf
Pilgerschaft und der arme Mann ist allein zu Hause. Es gelingt ihm beim besten Willen nicht, den Kocher anzuzünden,
um die Milch warm zu machen und mit dem Kaffee-Kochen für soviele Leute auf einmal ist er auch hoffnungslos
überfordert. Dauernd rennt er hin und her um irgendetwas zu suchen und zu organisieren, aber es will und will
nicht klappen. Endlich kommt die Hausfrau nach Hause, sofort hat sie die Lage im Griff: Es stellt sich heraus,
dass der Kocher deshalb nicht angegangen ist, weil das Gas alle war. Schnell wechstelt der Herr des Hauses die Gasflasche, die
Hausfrau übernimmt das Zepter im Verkaufsstand, und sofort klappt alles. Es erinnert mich irgendwie an zu Hause.
Um Viertel vor Eins wird zum Aufbruch geblasen und weiter gehts. ½ 2 - immer wieder hohe Wälder von Eukalyptusbäumen
und Akazien. Leute sind dabei, Akazien aufzusammeln. Mit dem Rosenkranz scheint es heute nichts zu werden. Es
sieht aus, als habe der Chef seine Sammlung noch nicht so richtig gefunden und er will noch nicht beginnen, obwohl
die Gruppe eigentlich ziemlich geschlossen läuft und offensichtlich auf das Signal zum Sammeln wartet.
Wir stoßen auf den kleinen Ort Salceda und auf die Nationalstraße. Ein paar Hundert Meter vor uns sehen wir die
italienische Gruppe an einer Bushaltestelle stehen. Es sieht aus, als habe sie ihren Zielort erreicht und warte
auf das Wohnmobil, das sie wie ein Marketenderwagen begleitet.
Viertel vor 3. Wir haben bei dem ...wetter einen Top-Schritt, weil niemand stehen bleiben will. Ab und zu ist
Krankensalbung bzw. Fußsalbung angesagt, dann geht es wieder weiter. Teilweise werden die Medikamente in Form
flüssiger Zahnpasta auch innerlich angewandt, das hilft vor allen Dingen der Moral.
Es weht immer noch ein stürmischer Wind, aber es hat doch seit geraumer Zeit nicht mehr geregnet, so dass alle
wieder richtig trocken sind. Wir haben uns in der Zeit nach Mittag mit den Italienern, die doch noch weitermarschieren,
ziemlich vermischt und haben erfahren, dass sie aus Venetien kommen und den Weg von Sarria bis Santiago zurücklegen,
immer in Herbergen übernachten, jeden Tag eine Messe und eine Andacht halten und sich ganz selbst versorgen.
Jetzt wird das Wetter richtig ungemütlich; es stürmt und es hat wieder angefangen zu regnen. Zum Glück treffen wir
gerade auf einen Unterstand für die Pilger. Während in der Meseta die Unterstände und Rastplätze hauptsächlich im
Schatten angelegt worden sind, ist es hier ein fester Unterstand aus Holz mit Bänken darunter, so dass er dem
schlechten Wetter Rechnung trägt, das hier in dieser Gegend offensichtlich die Pilger häufiger begleitet. Der
Unterstand eignet sich hervorragend für einen Fototermin, die Italiener und Deutschen fotografieren sich gegenseitig,
begrüßen sich gegenseitig mit Patatas usw. Auch ein echter Pilger gesellt sich für einige Minuten zu uns: Ein
Ordensmann, nur mit Sandalen, ohne Strümpfe. Endlich sind wir an der besagten Tankstelle angelangt, aber hier
steht das Auto von Bernhard noch nicht, sondern es sind noch 300 Meter zurückzulegen.
Während die Gruppe vor dem jetzt heftigen Regen in das benachbarte Café flüchtet, gehen Bernhard und ich das Auto
holen. Auf diesen letzten 300 Metern überrascht uns ein wolkenbruchartiger Gewitterregen, der uns auf den letzten
Schritten völlig durchnässt. Das hätte jetzt nicht auch noch sein müssen.
Es ist kurz nach ½ 5; wir haben gerade die Autos abgeholt an unserem Startpunkt von heute Morgen und fahren jetzt
zurück, um die Truppe abzuholen. 16 Uhr 55. Wir sind an dem Gasthaus angekommen, wo die Gruppe uns erwartet. Wir finden
unsere Freunde bei romantischem Kerzenschein vor, weil in der Zwischenzeit während des Gewitters der Strom
ausgefallen ist.
Um 20 nach 5 erreichen wir unser Hotel. Beatrix eilt voraus, um einen Trockenraum zu organisieren. Es regnet
immer noch in Strömen, und es sieht nicht danach aus, als könne es heute noch einmal besser werden. Einen
Trockenraum gibt es leider nicht, und so hängen bald unsere nassen Klamotten im ganzen Haus herum. Zeitungen
gibt es en masse, damit wir unsere Schuhe trocknen können, den Rest besorgt eine heiße Dusche und ein Veterano
(es können auch mehrere gewesen sein).
Wir wissen jetzt, warum Galizien ein so grünes Land ist.
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