Mittwoch, 3.10.2001 - Von Triacastella nach Sarria (17,3 km)


GRUPO KATH.
PFARRAMT
ST. WENDEL

Solche Schilder strahlen uns am Morgen auf den sauber gedeckten Frühstückstischen entgegen: Da sage einmal jemand, die Spanier könnten nicht organisieren! Die Müdigkeit ist wie weggeblasen und es fällt nicht schwer, sich in dem unglaublichen Angebot zu orientieren. Pilger haben 11 verschiedene Sorten an Kuchen gezählt. Was Orientierung betrifft, sind sie fit!

Kein Wunder, wenn wir augenblicklich in die feiertagsgemäße Hochstimmung verfallen. Bei mir hielt sie sich allerdings nicht sehr lange, da Toni mir mit vollen Gewicht (wenn auch nicht mit Absicht) auf den ohnehin geschundenen kleinen Zeh tritt, was mich schnell in die Realität zurückbringt. Ein Feiertags-Spezialprogramm gibt es an diesem Tag dann aber doch!

In Samos gründeten um 650 Benediktinermönche das Kloster St. Julian, von dem allerdings nur noch die Capilla San Salvador (10. Jh.) übrig ist. Der heutige Klosterbau mit seiner Renaissance - Fassade stammt aus dem 17. und 18. Jahrhundert und dieser Stil ist ziemlich einzigartig am Camino.

Ein Kreuzgang aus dem Jahre 1582 und ein zweiter mit neuzeitlichen Fresken sollen sich hinter den Mauern verstecken. Kein Wunder, dass unsere Kunstfreaks die heutige Pilgeretappe etwas veränderten.

Eigentlich müssten wir von Biduedo, dem gestrigen Ziel, nach Triacastela absteigen. Jetzt sieht der Plan so aus, die schnöden 6,9 km Abstieg wegfallen zu lassen und stattdessen in die Höhen der Kultur hinauf zu steigen (Fliegen kann nur eine!). So stehen wir schon vor 10 Uhr vor der Tür des Klosters von Samos. Besser gesagt - wir suchen zunächst einmal erfolglos den Eingang und geraten dabei in den Schlafsaal des Pilgerhospizes. Der liegt - praktischerweise - direkt an der Straße, neben der Tankstelle. Wie dankbar bin ich in diesem Moment unserer Beatrix für die bescheidene Unterkunft mit dem kleinen Pilgerfrühstück in Sarria! Wen interessiert dabei schon die ungerechte Schmähung "Luxuspilger".

Endlich finden wir den richtigen Eingang. Da er noch geschlossen ist, bemühen sich die Pilger (meist vergeblich), die riesige Klosterfassade in den kleinen Fotoapparat zu bannen. Schließlich werden wir eine Stunde lang von unserem eifrigen Führer durch den Gebäudekomplex geleitet. Die modernen Fresken stellen den Hl. Benedikt in den Mittelpunkt und sind durchaus bemerkenswert. Die Kirche ist total in das Gebäude integriert. Ihr klassizistischer Stil schafft eine beeindruckende Atmosphäre, die unserer Meditation zugute kommt. Fünf Minuten werden uns erlaubt. Tonis Themen unter dem Gedanken Seit mehr als 1000 Jahren sprechen, nach so intensiv erfahrenem Jakobsweg, unmittelbar zu uns: das Auf - den - Weg - machen; der Camino Santiago als Weg des Glaubens und der Hoffnung Europas; das Weitergeben von Tradition; das persönliche Erleben des Weges; die Klöster als Ausdruck des Glaubens. Zu diesen Gedanken passt auch "Wohl denen, die das wandeln". Den Abschluss, im Souvenirshop, bildet der übliche Run auf den Pilgerstempel. Einige Schritte vom Kloster entfernt finden wir die unscheinbare (und verschlossene) Capilla San Salvador. Doch haben die Pilger die Möglichkeit, durch Sammeln von Nüssen etwas für das leibliche Wohl zu tun.

Mit den Autos geht es weiter nach Triacastela. Die Verzweigung des Camino und günstige Parkplätze sind schnell gefunden. Dieser Weg führt nicht über Samos sondern in die Höhe über Riocabo (896 m). Um 11.45 ziehen wir los und überqueren zunächst die Landstraße am Ausgang des Ortes. Der Weg ist asphaltiert und überquert gleich recht idyllisch einen kleinen Bach. Wolfgang, hinter mir, versprüht einmal mehr eine Fülle an guter Laune: "Ja das Schreiben und das Lesen". In dem kleinen Ort Balsa überquert der Weg noch einmal den Bach, wie die ländliche Idylle! Damit meine ich den grünlich-weichen, für empfindliche Nasen weniger geeigneten Belag, mit dem hier durchgehend die Straße gepflastert ist. Wir kommen an der Hauskapelle des Bauernhofs vorbei und gelangen auf einem sanft ansteigenden Waldweg zur Fuente Veira (12.40 Uhr), die in ein neues Wasserbecken, von einem Muschelsymbol gekrönt, eingefasst ist und zum Verweilen einlädt.

Der Weg steigt weiter an nach San Xil, das wir am Ortsrand passieren. Bettina machen die Blasen an den Füßen wieder zu schaffen und sie wechselt die Schuhe. Wir bleiben ein ganzes Stück hinter den Anderen zurück. Die Höhe (Alto Riocabo) bietet tolle Ausblicke, auch hinüber zu dem Tal, wo Samos liegt. Kurz vor dem nächsten Ort überholen wir Manfred, der aus kameratechnischen Gründen zurückhängt. Anschließend biegen wir nach rechts in einen Waldweg ein. Weit vor uns sehen wir unsere Gruppe. Sie folgt gerade einer Wegbiegung, die nach links auf eine weitere Anhöhe führt. Als Bettina und ich die Stelle erreichen, blicken wir zurück: Manfred müsste uns doch längst wieder eingeholt haben! Kurz vorher hatten wir noch über die zukünftige Gestaltung unserer Pilgerberichte gealbert und Manfred sprach sich für eine Art Anzeigenseite aus, z. B. in der Art "Manfred nebst Zubehör gesucht"! In diesem Moment war uns gar nicht mehr zum Lachen. Er muss diese Abzweigung in den Wald verpasst haben. Bei so vielen Sinneseindrücken am und durch den Weg ist es nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert. Wir machen langsam, schauen zurück - von Manfred keine Spur. Weiter unten liegt das Dorf Montán und unser Weg führt malerisch über steinige Platten, wie eine hohle Gasse, dorthin.

Ein Einheimischer mit gelbem Hut spricht uns freundlich an - "non hablo espagnol". Trotzdem gibt er uns eine Reihe guter Ratschläge und wir hören geduldig zu. Von Montán berühren wir lediglich die letzten Häuser. An der entscheidenden Abzweigung wartet Edgar auf uns. Am Ortsausgang, an bzw. auf einer Steinmauer, die die Wiese begrenzt, haben es sich die Gefährten zur Mittagsrast gemütlich gemacht. Typisch - eine Brombeerhecke auf der anderen Wegseite! Manfred kommt nur wenig später und berichtet über seine Irrfahrten. Nicht einmal unsere Geistlichkeit macht sich intensivere Gedanken über das (kurzzeitlich) verlorenen Schaf - "Schaf ist Schaf". Das Mahl dehnt sich aus. Walter verteilt Brot, Karin Algenwasser. (Originalton Wolfgang: "So etwas wie Weihwasser"!). Erst als Beatrix feststellt, "die Umgebung ist in Pilgerhöhe abgeerntet" gibt der Hirte seinen Schafen das Zeichen zum Aufbruch. Dabei überhört er gnadenlos Wolfgangs Bemerkung: "Jeder Muskel schreit: lass mich in Ruh"!

Der Weiterweg führt uns durch angenehmes Gelände. Wir queren die Landstraße, dahinter geht es auf Trittsteinen über einen Bach. In Furela gibt es an einem kleinen Fenster nicht nur den Pilgerstempel, sondern auch ein erfrischendes Bitter-Lemon. Hinter den paar Häusern geht der Weg sanft über eine Anhöhe und fällt dann ins Tal ab. Durch Absingen einschlägiger Kampflieder gewinnt unsere Gruppe noch einmal Tempo und festeren Tritt (Zwei Pilger tun sich dabei besonders hervor - mit sozusagen afrikanischer Folklore. Einer der beiden trägt ständig einen Kilometerstein im Rucksack!). Als schließlich unser Weg durchgehend die Landstraße benutzt, wird das Ganze zu einer Frage des Durchhaltewillens. Um 16.45 Uhr lassen Bettina und ich - wieder einmal Nachzügler - den Ort Aguida hinter uns. Einige Gefährten warten auf uns hinter dem Dorf auf einer kleinen Brücke (zufällig steht ein voll hängender Apfelbaum dahinter). Bettinas Füße erhalten noch einmal eine "Beatrix - Spezial - Verpflasterung". Bei dieser Gelegenheit gibt es auch eine Diskussion über die wirkungsvollsten Vorsorgemaßnahmen gegen Blasenbefall. Karolin wundert sich, dass ihr Rezept, jeden Morgen frische Strümpfe anzuziehen, bei den andern auf wenig Gegenliebe, ungläubige Verwunderung und - fast könnte man sagen - blankes Entsetzen stößt.

Um 17.00 Uhr sind wir bereit für die letzte Etappe. Es geht jetzt in leichtem Auf und Ab (tendenziell eher Ab!) parallel zur Landstraße weiter. Mehrere Dörfer registrieren wir nur aufgrund der Hinweisschilder. Wir nähern uns Sarria. Ein Reklameposter verweist schon auf unser Hotel "Alfonso IX.". Das kräftigt noch einmal den Schritt und manche entdecken bereits das Hotelgebäude (wohl eher eine Fata Morgana). An der ersten Straßenkreuzung sammelt sich unserer Schar und so kommen wir als geschlossene Gruppe beim Hotel an. Eine deutsche Reisegruppe trifft gleichzeitig mit uns ein und schaut verwundert aus dem Bus auf unsere abenteuerlichen Gestalten herab.

Da Beatrix es übernimmt, mein Auto abzuholen, kann ich sofort unter die Dusche, durch die der Pilger sich bekanntlich wieder in einen normalen Menschen verwandelt. Dennoch - ein Pilger muss auf alles gefasst sein! In die abendliche Regenerationsphase platzt Helgas Anruf: "Um 7 Uhr Aufbruch nach Samos zur Komplet mit den Benediktinern"! Und das nach 17,3 km am Nachmittag! Die letzten Reserven werden mobilisiert. Es gibt überraschend viele, die dem Aufruf folgen: Manfred (an der Spitze), Bettina, Brigitte, Helga und Edgar. Zwei Minuten vor Halb sind wir wieder am Kloster, besser gesagt, an der Tankstelle vor dem Kloster. Der Tankwart geleitet uns zum richtigen Eingang und führt uns einem der Brüder zu. Über den schon bekannten Kreuzgang kommen wir in eine Kapelle. Ein halbes Dutzend fremder Pilger ist bereits da. Freundliche Brüder verteilen Bücher und schlagen uns den Text auf als wäre es selbstverständlich, dass wir mitsingen sollen. Das meiste ist in Spanisch. Obwohl nicht in der Basilika, ist der Gesang der 9 Brüder für uns doch ein eindrucksvolles Erlebnis, das unseren Tag wunderbar abrundet. Besonders der Vorsänger ist großartig in der Leichtigkeit seines Gesangs.

Anschließend: Ob wir noch an der Messe in der Basilika teilnehmen wollen? Zusammen mit 2 englischsprachigen Pilgern können wir dann doch deutlich machen, dass wir zum Ausgang wollen. Der Bruder geleitet uns freundlich und geduldig nach draußen.

Wir kommen sogar rechtzeitig zum Abendessen (Nudelsalat, Kabeljau). Heute ist es doppelt und dreifach verdient!

Bernhard

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