Sonntag, 28. September 2008
Anfahrt nach St. Amand-Montrond

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Es ist kaum zu glauben, vor zwei Jahren haben wir in unserem Bericht wehmütig Abschied genommen vom Jakobsweg in der Annahme, dass es unsere letzte Wanderung auf dem alten Pilgerpfad ist. Nun sitzen wir wieder in Tonis Auto, Toni, Manfred, Renate und ich, gerüstet für ein neues Unternehmen "Jakobsweg". Wir fahren nach St. Amand-Montrond, wo wir im Jahre 2006 unsere 12. Etappe beendeten. Von dort aus möchten wir bis Limoges auf der Südroute der Via Lemovicensis weiter pilgern. Es stimmt also wirklich, was Toni immer sagt: Der Jakobsweg macht süchtig!

Ilona hat Manfred nach Sulzbach gebracht. Nach einem kleinen Imbiss sind wir um 12.10 Uhr losgefahren. Von der E-Mail (nach Ex 12,11) unseres bibelfesten Manfreds, die ich verantwortungsbewusst auf den Tisch legte, ließ sich niemand beeinflussen. Wir haben schönes Wetter, die Sonne scheint, 20° zeigt das Thermometer. So könnte es auch während unserer Wanderung bleiben!

Wir sind auf der Autobahn Richtung Metz. Wir fahren die Umgehung und weiter bis Pont-a-Mousson, dort nehmen wir die Landstraße. Fahrerwechsel - Manfred löst Toni ab. Blühende Rapsfelder, wie in den vergangenen Jahren, sind Ende September nicht mehr zu sehen, doch wir entdecken die ersten Rinder, grasend auf saftigen Weiden. Vor uns sehen wir die Berge, die wir im Jahre 2002 - auf der Etappe von Trier nach Langres - erwandert haben.

Toni hat eine Menge Äpfel dabei. Er verteilt sie und betont, dass es keine geklauten sind (noch sind wir keine Fußpilger), sondern er hat sie selbst geerntet zu Hause in Wochern. Schnurgerade führt die D 958 durch Lothringen. Nachdem wir die kanalisierte Meuse, den Canal de la Meuse, überquert haben, erreichen wir Commercy. Wir umfahren ein Rondell, auf dem Figuren von blauen Kühen stehen, warum dieses seltsame Blau? Über die N 4 erreichen wir Ligny, St. Dizier umfahren wir. Der Canal de la Marne a la Sâone liegt an der Strecke. Vorbei am Lac du Der Chantecoq, an Sonnenblumenfeldern, die auf die Ernte warten und Maisfeldern, an weidenden Kühen in weiß, braun und schwarz gefleckt erreichen wir Brienne-le-Chateau.

Brienne erinnert uns an Napoleon. Als Internatszögling studierte er dort 5 Jahre (1779-1784) an der damaligen königlichen Militärschule. Als Kaiser der Franzosen besuchte er Brienne nochmals auf seiner Reise zur Kaiserkrönung nach Mailand.

Troyes umfahren wir ebenfalls. Unsere Straße führt nun über die Aube, den Canal St. Etienne und die Seine. Bewaldete Hügel und bunte Blumenfelder begleiten uns. Über die N 77 kommen wir durch malerische kleine Orte, typisch französisch. Bilderbuch-Orte mit Patina. Manfred schwärmt von ihrem "morbiden Charme".

$bb-02$ Nun sind wir in Burgund. Ein feines Netz von Kanälen, Flüssen und Rinnsalen durchzieht das Land. Am Canal de Bourgogne und am Flüsschen Armaçon liegt das kleine Städtchen St. Florentin. Dort machen wir eine Kaffeepause. Aus einem Häusermeer erhebt sich die Kirche aus dem 14. Jh. Leider ist sie geschlossen. Auf dem Marktplatz steht ein kleiner Renaissancebrunnen mit Furcht einflößenden Wasserspeiern, Drachen und anderen Ungeheuern. Doch sie werden überwacht von Adam und Eva, dem hl. Beatus mit dem Drachen, der hl. Barbara mit dem Turm, dem hl. Martin - dem Schutzpatron der Gemeinde und selbstverständlich vom hl. Florentin in Rüstung, die Sonne auf seinem Schild führend, als krönender Abschluss - unter dem Kreuz Maria, die Königin aller Heiligen.

Ein kleines Kaffee am Marktplatz erfüllt alle unsere "süßen" Wünsche. Um 5 Uhr sitzen wir wieder im Auto, das nun wieder von Toni gesteuert wird.

Burgund verdankt seinen Ruf als große Kulturlandschaft Europas nicht zuletzt seinen vielen romanischen Kirchen. Fast jede einfache Dorfkirche ist ein Ansichtskartenmotiv.

Die alte Zisterzienserabtei Pontigny, ein bedeutendes Kloster des burgundischen Mittelalters, ist nur 10 km von St. Florentin entfernt. Sie liegt am Flüsschen Serein, einem Nebenfluss der Yonne. Dort können wir nicht einfach vorbeifahren. Sie ist unser nächstes Ziel! Das Zisterzienserkloster wurde 1114 als "Citeaux zweite Tochter" von einem Freund Bernhard von Clairvaux gegründet. Um 1150 wurde mit dem Bau des Gotteshauses begonnen. Es ist beispielhaft für den Übergang von der Romanik zur Gotik. Eine lange, gerade Allee mit schönem Blick zur Kirche führt uns zum Portal. Die Kirche wurde aus einem hellen, beige-weißen Kalkstein gebaut. Die strengen Gebote der mönchischen Askese formten einen neuen, eigenen Baustil: klare Linien und Grundrisse, nichts Überflüssiges, nichts Ablenkendes. Wunderschön ist in ihrer klaren Einfachheit diese großartige Klosterkirche, ein lichter, unendlich weiter Raum. Störend finde ich den im 17./18. Jh. eingebauten hölzernen Lettner, der den Blick nach vorne versperrt.

$bb-03$ Die steinerne Arche nennt man sie. Eine 4 m hohe Mauer umschloss die Anlage, eine Sicherheitsvorkehrung, welche die drei Erzbischöfe von Canterbury, die nacheinander hierhin ins Exil geflohen waren, wohl zu schätzen wussten. 1164 - 1166 weilte Thomas Becket, Primas von England und Kontrahent Heinrich des II. in der Abtei, Als der englische König damit drohte, sämtliche Klöster der Zisterzienser in seinem Land zu schließen, wenn man Thomas Becket weiterhin Obdach gewährte, suchte der Verbannte Schutz beim Bischof von Sens. 1170 entschloss sich Becket gegen den Rat seiner Vertrauten nach England zurückzukehren. Er baute auf die Versöhnung mit dem König, mit dem ihm zuvor eine enge Freundschaft verbunden hatte. Statt dessen wurde er am 29. Dezember desselben Jahres von Anhängern Heinrichs vor dem Altar seiner Kathedrale ermordet. 1174 tat Heinrich öffentlich Buße am Grab des zuvor Heiliggesprochenen. TS. Eliot verarbeitete diesen historischen Stoff in dem Drama: Der Mord im Dom.

$bb-04$ Als nächster fand Stephan Laugton auf der Flucht vor König Johann 1208-13 Exil bei den burgundischen Mönchen. Schließlich kam Edmund von Canterbury nach Pontigny auf der Rückreise von Rom. Er starb in der Abtei 1240 und wurde dort beigesetzt. Sechs Jahre später wurde er heilig gesprochen und gilt seitdem als Schutzpatron des Klosters (St. Edme). Die Revolution 1791 machte dem Kloster ein Ende, Pontigny musste den Abriss des größten Teils seiner Klosterbaulichkeiten erleben, nur die gewaltige Kirche blieb verschont. Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb der Philosoph Paul Desjardins das Anwesen. Es wurde eine Begegnungsstätte der geistigen Elite aus vielen Ländern. Es sollte eine Brücke werden zur Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland. Doch der kleine Kreis stand machtlos in einer Zeit, die auf einen erneuten Weltkrieg zusteuerte. Heute ist die Klosterkirche Pfarrkirche, und in den übrigen Gebäuden ist ein Reha-Zentrum für Behinderte.

Neben den religiösen Aufgaben spielte bei den Mönchen von Pontigny auch der Weinbau eine große Rolle. Sie legten den ersten Grundstein für die weltbekannte "Weininsel", die den Ort Chablis am Flüsschen Serein umgibt, nur einige Kilometer von hier entfernt.

Bald erreichen wir die alte Bischofsstadt Auxerre an der Yonne, am Canal du Nivernais gelegen, die wir aber umfahren. Hoch vom Stadthügel grüßt majestätisch ihre gotische Kathedrale St. Etienne. Von hier unten hat man eine der schönsten Stadtansichten von Frankreich, sagt man, ein prächtiges Panorama der Altstadt. Während unserer Fahrt durch Burgund fallen uns immer wieder die bulligen Charolais-Rinder auf, eine Rasse mit weißlich bis cremefarbenem Fell, die berühmten Vertreter dieser Gegend. Sie gehören zum Landschaftsbild wie die Rebstöcke und romanischen Kirchen. Viele Kirschbäume gibt es in der Gegend, Blumenfelder und gelb-rot gefärbte, herbstliche Laubbäume begleiten uns. Burgund ist ein buntes Mosaik aus Weingärten, Wiesen und Wäldern.

Manfred telefoniert schon mal mit unserem Hotel in St. Amand. Wann wird zugeschlossen? Doch wir bekommen eine gute Nachricht, bis 11 Uhr können wir ohne Code ins Hotel kommen.

Über Clamecy fahren wir durchs Tal der Nievre, eine Gegend, deren Städtenamen Erinnerungen wachrufen: Premery, Guerigny, Urzy. Wir kennen sie von unserer Pilgerwanderung 2006. Premery war Tagesziel. In Guerigny saßen wir auf einem Mäuerchen, ruhten uns ein wenig aus, hundemüde waren wir.

Vor uns ein wunderschöner Sonnenuntergang, doch die Sonne blendet. Um 19.35 Uhr sind wir an der Loire! Terrassenartig liegt die Altstadt von Nevers am rechten Ufer der Loire, über dem Fluss. Schon von weitem ist die Silhouette der Kathedrale, Saint-Cyr et Sainte Juliette zu sehen. 2006 haben wir sie kennen gelernt. Über den Allier, der uns schon so oft auf unserem Pilgerweg begegnet ist und der hier in Nevers in die Loire mündet, fahren wir weiter Richtung Magny-Cours, vorbei am Hotel "Complet". Den letzten Rest unserer heutigen Fahrstrecke übernimmt nun wieder Manfred.

Weites Land liegt vor uns in dem schwächer werdenden Rotgold des bildschönen Sonnenuntergangs. Von dem vor uns liegenden Dorf mit seinem Kirchturm erkennt man nur die Silhouette, es wird langsam dunkel. Über St. Pierre le Moutier mit dem hl. Jakobus an der Kirche und mit der Taube in der Straßenlaterne (2006) und über Charenton du Cher am Marmande mit der Chapelle Notre Dame de Grace, mit Monsieur Gerard, seinen Tauben und seinem Paradiesgärtchen erreichen wir um 20.30 Uhr unser Hotel in St. Amand­ Montrond am Canal du Berry und am Fluss Cher.

St. Amand war immer schon Pilgerstation an der Via Lemovicensis. Viele Jakobspilger haben auf ihrem Weg nach Santiago diese Stadt passiert und das Grab von Peter dem Pilger besucht. Im 7. Jahrhundert hat Amandus, ein heilig gesprochener Schüler des irischen Predigers St. Columban hier ein Kloster gegründet, das zur Keimzelle der heutigen Stadt wurde. Vor zwei Jahren haben wir unseren Pilgerweg hier beendet, morgen geht es von hier aus weiter.

$bb-05$ Vor uns liegt wieder ein neues Abenteuer. Gedanken nach dem Sinn der Wanderung huschen immer wieder durch den Kopf. Lassen wir uns neue Erfahrungen schenken für Körper, Seele und Geist. Morgen werden wir hier zur 13. Etappe aufbrechen mit all den bekannten, gemischten Gefühlen: Vorfreude, Abenteuerlust, Spannung, Erwartung. Brauchen wir wieder eine Herausforderung? Ist es Lust auf etwas Neues, Unbekanntes, oder Ausklicken vom Alltag, ist es Unzufriedenheit mit dem alten Trott? Oder vielleicht doch dieses stets .. unruhige Herz"?

Brigitte

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