Montag, 29. September 2008 |
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Es ist noch dunkel, als Manfreds Handy um 6.45 Uhr zum Wecken ruft. Ich habe gut im Hotel Mercure zu St. Amand-Montrond geschlafen. Aber jetzt heißt es: Aufstehen! Manfred macht die große Morgentoilette; für wen, wenn wir gleich rucksackbeladen durch Feld und Wald marschieren? Dann bin ich an der Reihe. Es geht heute schneller, denn Rasieren will ich mir auf dem Jakobsweg wie in allen Vorjahren ersparen. Doch dann macht es viel Mühe, den Rucksack zu packen. Was hatte ich bloß alles da herausgeholt? 7.30 Uhr Frühstück - nicht französisch (das werden wir in den nächsten Tagen noch hinreichend bekommen) sondern ein richtiges Büffet: Orangensaft, Wurst, Käse, Honig und Marmelade, Flutes, verschiedene Brötchen ... Das gefällt uns! Und wir sitzen zu Viert allein im großen Speisesaal. Der Jakobsweg ist unser Schicksal: Er lässt uns nicht mehr los. Welche Strapazen erwarten uns in diesem Jahr? Die Wege? Das Wetter? Die Unterkünfte? Aber wir müssen gehen! Doch das Auto können wir nicht beim Hotel abstellen. Auf dem großen Platz davor wird in den nächsten Tagen Markt sein. Also auch nichts. Manfred hat die Idee: Wir fahren zum Bahnhof und stellen es dort ab, denn dort ist ganz bestimmt Platz und dorthin müssen wir eh und eh, weil der Weg da geht. Zuvor aber ziehe ich noch die dicken Schuhe an. Es ist auch eine gute Strecke durch die Stadt bis zu "La gare."
$bb-01$ Zunächst ist auf dem Vorplatz noch eine Ecke frei, doch das gefallt uns nicht. Wir gehen hinein, und Manfred fragt. Der Beamte hat keine Befugnis; er kann nicht zusagen; auch über den Platz dahinter weiß er nichts zu sagen. Aber die Polizei fahre hier öfter Streife. Es sei also sicher. Also stolpern wir durch das Tor und fragen Arbeiter. Die verweisen uns an eine Türe wo Kompetenz sei. Es dauert eine Weile bis Manfred klar hat, dass der Beamte nichts dagegen hat. Also! Wir fahren an die hinterste Ecke, ziehen unsere Rucksäcke heraus und hieven sie auf die Schultern. Naja: 9, 10, 11 kg zusätzlich! Wir trotten zurück über den Bahnhofsvorplatz und - Brigitte entdeckt die erste Muschel als Wegzeichen! Es ist punkt 9.00 Uhr. Da geht es also in diesem Jahr her!
Wir laufen neben der Straße durch den Stadtteil Orval "Jetzt rechts, und dahinten links, und da oben müssen wir an der 2. Straße wieder rechts ... " Manfred geht auf Karte, und wir vertrauen blind und sind sehr folgsam. Da ist der Park, das war der Friedhof, da stehen schöne Häuser, doch Leute sind nicht auf der Straße, auch Muschelzeichen sind nicht zu sehen. Aber die Hunde haben uns schon gewittert und empfangen uns vielstimmig. Wir wollen ja den kürzeren Weg nach OUTDOOR-Beschreibung gehen: nur 23 km statt 28 km wie der historische Weg anzeigt. Tatsächlich stehen wir bald am Ortschild von Orval bei einem riesigen Sonnenblumenfeld. Sie werden uns noch oft begegnen. Große Köpfe stehen da dicht an dicht, längst verblüht. Bald sind sie reif zur Ernte.
$bb-02$ Die Sonne scheint und langsam wird es wärmer, denn früh war es sehr kühl. Wir laufen geteerte Straßen in Richtung Orcenais und überqueren dabei bald die Autobahn. Es geht über eine Höhe mit weitem Ausblick und Orcenais in der Ferne. "Da oben liegt das Dorf, da müssen wir hin!" sagt Renate. Es geht wieder ins Tal. Da scheuchen wir ein Dutzend Raben von einem dürren Baum. Da rufe ich etliche Pferde und warte bis sie kommen - vergessen den Zucker vom Frühstück einzupacken! Und dann steigt die Straße wieder hinauf zum kleinen Ort: Wir haben 8 km geschafft, machen ein paar Fotos schauen uns die kleine Kirche neben dem Weiher an und gehen ein paar Meter bis an die große Kreuzung: Pause! Längst haben die Hunde uns gewittert und machen sich gegenseitig Meldung. So wird es in jedem Ort sein. Wir werden überall mit Gebell empfangen. Der erste Wäschewechsel ist fällig, denn der Rücken ist pudelnass. Renate bewundert die schönen Dahlien an der Friedhofsmauer und macht schöne Blumenbilder. Wir schauen nach der weiteren Richtung. Ein alter Mann liest am Ehrenmal von 1914/18 die Zeitung und berichtet von einem Drama, das sich in St. Amand abgespielt hat: Da hat ein älterer Mann seine Frau umgebracht. ..
$bb-03$ Links geht es nach Marcais, so steht es in den Beschreibungen; dorthin wollen wir. Bald sind wir auf dem Sportparcours von Orcenais. Manfred versucht ein paar Übungen; der Erfolg ist mäßig! Wir haben Feldweg, Grasweg, Hecken rechts und links und eine schöne weite Sicht. Da entdeckt Renate eine Orchidee. Ich stutze: Zu dieser Zeit? Sie lacht und weist auf ein großes, dürres Ding hin, das der Wind bewegt: eine Distel. Sie hat mich getückt! Wir passieren "les petits chemins, la Gonne und steuern auf la Fontenelle"- da kommt Manfred und erklärt: "Marcenais, das liegt ganz da drüben, da oben, da kommen wir gar nicht hin!" Wir gehen vorerst weiter und machen in einem Chaos auf einem Bauernhof in Varennes um 13.00 Uhr Mittag Wo haben wir nicht schon zur Mittagszeit gerastet? Im Straßengraben, im verlassenen Schuppen, bei Madame im Wohnzimmer, in der Werkstatt, auf dem Mäuerchen im Bearn, am Wochenendhaus... Wir haben noch Proviant von zu Hause und auch Wasser in unseren Flaschen. Wir ruhen ein wenig aus und bestaunen, was sich da im Laufe der Jahre alles abgestellt hat; es sind sogar zwei alte Citroen (Enten) dabei, die das Gebüsch überwachsen hat. Ein Betonmischer ist dabei und Bretter jeder Art ... Doch kürzlich wurden hier noch Strohballen gestapelt.
$bb-04$ Um 14.00 Uhr brechen wir auf und nähern uns der sog. Voie de Vézelay. Mit der Karte in der Hand stellt Manfred fest, dass dieser Gras- und Feldweg historischen Charakter hat. Und dann stehen wir am Scheideweg: Geradeaus weiter sind wir bald auf der Route mit der großen Kurve, d.h. 28 km; halbrechts ist unser Traumweg - aber ohne jedes Zeichen. Da kommt ein Auto und hält an dem Haus gerade vor uns. Es steigen ein Mann und eine Frau aus und bedeuten uns, die Pilger gingen alle geradeaus weiter. Wir erklären unser Vorhaben, zeigen die Karte und erhalten Bestätigung. Da unten seien zwei Gue (Furten) mit Brücken, und der Weg sei sehr schön. Plötzlich fällt ein deutsches Wort. Ja, er habe seinen Militärdienst in Freiburg geleistet. Und als wir Trier erwähnen, erzählt er, dass er dort gearbeitet habe und jetzt in Berlin sei. Wir sind schon fast verwandt, als wir uns verabschieden und nun geradewegs ins Abenteuer steuern.
$bb-05$ Der Weg ist toll, herrlich, ideal. Wir finden die Gue mit Bach, Mühle und Mühlrad: Fotoshooting. Wir finden den Bauernhof und weitere Weiden mit vielen Tieren. Da ist auch das Kreuz zur Orientierung, und dann führt der Weg nach le Temple. Wir suchen die Richtung nach la Prahas. Dort wo sich drei Wege verzweigen müssen wir den mittleren nehmen, so weiß Manfred die Karte zu lesen. Er macht es noch besser als Gert damals. Ja, er hat wochenlang trainiert - mit und ohne Karte. Er hat sogar den Matschtest gemacht und die Schuhe auf dem Rücken getragen. Die Häuser stehen vereinzelt und zerstreut. Wir brauchen Wasser; alle Vorräte sind erschöpft. Das erste Haus ist leer; beim zweiten öffnet niemand. Da ist noch eines: Ich klingle und läute an der Tür am Vorgarten. Nach einigen Minuten kommt Madame. Auf unsere Bitte öffnet sie das Törchen und zeigt uns den Wasserhahn zur Selbstbedienung. Wir sind gerettet! Wir beten den Rosenkranz. Das Meditationsthema heißt heute: Was wir uns einpacken. Ja, das müssen wir mitschleppen. Ob alles nötig ist? Ob nicht manches überflüssig ist? So ist es auf der Jakobswanderung und im Leben. Noch einmal ist eine Pause mit Wäschewechsel an einer Kreuzung im Wald um 16.00. Sie tut gut. Und dann überraschen uns Nussbäume mit ihren Früchten Sie werden uns tagelang begleiten. Bald erreichen wir die ersten Häuser von le Chatelet. Sie sind einfach und schön. Und da ist auf der anderen Seite auch das " Schlösschen".
$bb-06$ Um 17.30 Uhrhaben wir unser "Hotel du Pont Bayard" erreicht. Zwei ältere Herren schlürfen vor dem Restaurant ihren Rotwein; wir genehmigen uns ein großes Bier. Natürlich müssen wir unsere Behausung mit Brücke und Aufschrift fotografieren. Brigitte und Renate erhalten ein Doppelzimmer mit zwei Betten, ich steige allein in ein grand-lit, Manfred findet Quartier in der Unterwelt. 30 Euro bezahlen wir für die Halbpension. Beim Abendessen - es ist einfach aber schmackhaft- führen wir lange Gespräche über den letzten Krieg noch mehr aber über unsere Erlebnisse auf den Jakobswegen: großer Regen, die Hitze in Burgund 2003, schwere Strecken, der Zettel in Poitier, die Vignal mit "Philemon und Baucis." .. Auch die Gespräche um morgen nehmen uns in Anspruch: 31 km? Ich schlage vor, von le Chatelet bis Chateaumeillant mit Bus oder Taxi zu fahren: 12 km. Der Vorschlag findet Gefallen! Um 21.30 Uhr beginnt unsere Nachtruhe. Ich massiere und bearbeite meine Füße. Immerhin, die Hüfte hat gehalten und keine Probleme gemacht. Das also war der erste Tag!
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