Donnerstag, 8. September 2011 |
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Die vor mir liegende Etappe ist zwar nicht allzu groß, aber in Auxerre wird es einiges zu sehen geben,
sodass ich mich rechtzeitig aufmachen will. Da Toilette und Dusche auf der Etage sind, heißt es, beizeiten
da zu sein; ich habe Glück, beides ist frei, so dass ich schon um ½ 8 beim Frühstück bin. Im Hotel zur Post
übernachten überwiegend Arbeiter, die um diese Zeit zur Arbeit wollen oder abreisen. Schon um 8 Uhr bin ich
in einer Bäckerei und kaufe mir meine Wegzehrung, dann folge ich dummerweise der Wegbeschreibung im Outlook-Führer,
der mich an der Hauptstraße entlang gehen lässt statt durch die Felder und Weinberge am Rand der Stadt. Ich versuche,
die Hauptstraße zu verlassen, lande aber in einem reinen Gewerbegebiet – Gewerbegebiet heißt in Chablis: riesige,
fabrikähnliche Weinkellereien. Am Ende bin ich doch wieder auf der Hauptstraße. Irgendwann lande ich dann doch in
Milly, einem schönen kleinen Dorf am Fuß der Premier-Cru-Lagen.
Nach dem Dorf geht es in zwei Etappen steil durch den Weinberg, die berühmte Lage Côte de Lechet. Oben angekommen bietet sich mir ein herrlicher Blick über das in einem großen Talkessel liegende Chablis mit seinen schier endlosen Weinbergen.
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$bb-05$ $bb-06$ Leider ist das Wetter nicht so toll aber es regnet wenigstens nicht. Ab und zu zeigt sich wenigstens mal die Sonne. Ich fotografiere einen bärtigen Mann, der mir mit seiner Erntemaschine entgegenkommt. Er winkt mir freundlich zu und hält sogar kurz an, um mir Gelegenheit für ein Foto zu geben. Ich werde später noch Gelegenheit haben, eine solche Maschine in Aktion zu erleben.
Weiter geht es über den Bergrücken, dann steil abwärts zum See von Beines.
Es handelt sich um einen künstlichen angelegten See, dessen Wasser im Winter und zu Zeiten der gefürchteten
Frühjahrsfröste über den Weinfeldern versprüht wird und dadurch die Blüten vor dem Erfrieren bewahrt. Der See
wurde 1978 angelegt und hat die Erwartungen bisher erfüllt. Während des Abstiegs telefoniere ich mit Freunden in
der Heimat, ich bin jetzt fast drei Wochen unterwegs und vielleicht zeigt sich ein wenig Heimweh oder auch Anzeichen
von Einsamkeit.
Beines, ein schöner Ort, weniger als 600 Einwohner, aber mehr als 600 ha Rebfläche. Man erkennt einen gewissen Wohlstand, der im Weinbau seinen Ursprung hat und den Willen, alles ein wenig schöner zu machen, erkennen lässt.
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Ein besonders schönes Haus fällt mir auf mit schönem Blumenschmuck und einem Brunnenhaus im Hof. Das Haus hat auch
einen Cave pittoresque, den ich aber nicht besichtigen will. Die Hausfrau ist gerade ins Haus gegangen, als ich auf
der Straße war. Die Tür ist offen und ich rufe ein Bonjour ins Haus. Sie kommt und ich erkläre ihr, dass sie das
schönste Winzerhaus bewohnt, das ich seit einer Woche gesehen habe; sie freut sich. Ich darf mir Wasser im
Brunnenhaus nehmen.
Nach dem Dorf, in einem kleinen Tälchen, ist eine Erntemaschine in einer Steillage im Einsatz; ich werde aufgefordert, zu fotografieren. Die Arbeiter, die die Trauben abtransportieren sollen, erklären mir alles ganz genau bis ich (fast) alles über die Vorteile der mechanisierten Traubenernte in Chablis weiß.
$bb-09$ $bb-10$ Einige Hundert Meter weiter ist Schluss mit dem Weinbau, es gibt nur noch Felder. Gegen Mittag sehe ich in der Ferne Auxerre und über eine etwas verzwickte Wegführung gelange ich schließlich nach Venoy. Gegenüber der Kirche mache ich eine lange Pause, dann überquere ich die Autobahn A 6. Ich gehe nicht, wie es der Wanderführer empfiehlt, über Egriselle, sondern nach meiner Karte.
Vorbei an einem Lager von Gens de Voyage erreiche ich den Stadtrand von Auxerre, aber es ist noch ein gutes Stück
bis zur Yonne. Der Blick von der Brücke auf die auf einem Hügel sich ausbreitende Stadt mit der Kathedrale und der
Abtei St. Germain ist immer wieder begeisternd.
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Um 3 Uhr erreiche ich das Stadtzentrum und das Maison des Rondonneur. Es macht nicht unbedingt den besten Eindruck
und ist noch bis 16.00 Uhr geschlossen. Ein Hotel nebenan bietet Zimmer für 60 €, aber das ist mir zu teuer.
Im Office de Tourisme finde ich das Hotel La Renommee, Zimmer mit Dusche und WC für 30 €, das ich reserviere,
dann besichtige ich die Kathedrale. Auf dem Weg zum Hotel verzehre ich an einem Imbissstand ein Sandwich; ich
sterbe fast vor Hunger. Mein Zimmer ist einfach aber o.k.
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Nach der Dusche breche ich zu einem Stadtbummel auf. Auxerre, Hauptstadt des zur Region Burgund gehörenden
Département Yonne hat gerade 35000 Einwohner, aber man hat den Eindruck, in einer wesentlich größeren Stadt
zu sein, was einmal daran liegt, dass die umliegenden Vororte nicht eingemeindet sind, darüber hinaus die
Stadt als Zentrum eines großen Gebietes zahlreiche Verwaltungen und viele Geschäfte beherbergt.
Auxerre entstand nach der Eroberung Galliens durch die Römer unter dem Namen Autissiodorum und ist
seit dem 3. Jahrhundert Sitz eines Bischofs. Vor der Mitte des 5. Jahrhunderts erfuhr die Stadt eine erste
wirschaftliche und religiöse Blütezeit durch das Wirken des Bischofs und Truppenführers Germanus von
Auxerre (St. Germain d'Auxerre), dem Patron zahlreicher Kirchen in ganz Frankreich. Beim Bummel durch
die gemütliche Innenstadt komme ich auch an dem schönen Tour de l'orloge, dem Uhrenturm vorbei,
einer beliebten Touristenattraktion.
$bb-15$ $bb-16$ $bb-17$ $bb-18$ Höhepunkt meiner Tour ist die geführte Besichtigung der vom späteren Bischof gegründeten Abtei St. Germain, in der er 448 auch seine letzte Ruhe fand.
Wegen des abfallenden Geländes ist die Kirche im Osten mit mehreren
übereinander liegenden Krypten ausgestattet, die den bedeutendsten Komplex karolingischer Architektur
in Frankreich darstellen.
Nach dem guten und preiswerten Abendessen im Hotel bleibt noch ein wenig Zeit bis zur Vorführung von Son et
Lumière in der Kathedrale St. Étienne um ½ 10. Neben mir hat ein Ehepaar aus Virginia/USA Platz genommen.
Wie alle Amerikanerinnen, will Madame alles wissen – woher – wohin – warum. Obwohl die Verständigung wegen
fehlender Sprachkompetenz auf beiden Seiten schwierig ist, erfahren wir einiges übereinander.
$bb-19$ Die Kathedrale, mit deren Bau 1215 begonnen und im 16. Jahrhundert vollendet wurde, gilt als ein Hauptwerk der burgundischen Gotik.
Die Franzosen haben die Ton- und Licht-Vorträge zu einer hohen Kunst entwickelt. Auch dieser Vortrag ist keine Ausnahme, aber leider ein wenig zu lange und zu ausführlich, mit vielen unwichtigen Anekdoten. Nachdem mein Sitznachbar ein paar Mal eingenickt ist, verabschiedet sich das Paar nach 50 Minuten, bald gehe auch ich; bin todmüde. Ich treffe die Amerikaner noch mal in der Stadt; sie erzählen mir, dass sie auf einem Hausboot auf der Yonne unterwegs sind, heute aber im Hotel übernachten.
Nach einem langen Tag mit vielfältigen Eindrücken falle ich endlich ins Bett und stelle fest, dass ich erneut
eine Zecke habe.
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