Mittwoch, 31. August 2011
Von Joinville nach Colombey-les-deux-Eglises

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$bb-01$ $bb-02$ $bb-03$ Heute ist also die Königsetappe. Vielleicht nicht die schönste Strecke, aber die größte; rund 38 km sind es bis Co­lombey-les-deux-Églises, und es gibt nach allen mir vorliegenden Informationen keine Übernachtungsmöglichkeiten.

Nachdem ich mich in der Nacht viel mit dem Trocknen meiner Wäsche beschäftigen musste, fällt es mir nicht gerade leicht, schon um ½ 7 aufzustehen, dennoch bin ich um 7 Uhr im Haupthaus des Hotel du Nord, wo mich die schon zahlreich ebenfalls zum Frühstück erschienenen Monteure und Arbeiter mit meinem Rucksack und Wanderstock wie den Mann vom Mond betrachten. Der Wirt erklärt mir, wo ich eine Bäckerei finden kann, dann mache ich mich auf den Weg. Ich muss zunächst ein gutes Stück zurück in die Stadt gehen und komme auf dem Rückweg wieder am Hotel vorbei. Es ist jetzt ¼ vor 8, ich bin gut in der Zeit. Das Wetter ist wunderschön, es verspricht, ein schöner und warmer Tag zu werden.

Nicht ganz 2 km muss ich der D 200 folgen, dann geht es in Rupt rechts ab. Das kleine Sträßchen folgt einem wunderschönen Tal stetig bergauf nach Ferrière-et-Lafolie und dann über die freie Hochfläche nach Blécourt. Schon von weitem ist die als Monument Historique klassifizierte riesige Kirche zu erkennen. Am Ortseingang begrüßt der 109 Einwohner zählende Ort seine Besucher in 4 (!) Sprachen, man erfährt, dass es im Dorf 8 Unternehmer, 2 landwirtschaftliche Betriebe und nicht weniger als 5 Vereine gibt.

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Alle Wege führen zur Kirche Notre Dame aus dem 12. bis 15. Jahrhundert mit dem mächtigen Vierungsturm. Das 3-schiffige Langhaus mit 4 Jochen weist den klassischen gotischen Aufriss mit Arkaden, Triforium und Obergaden, alles sehr wohl proportioniert, auf; an das einschiffige Querhaus schließt sich der Chor mit einem geraden Joch und 5-teiliger Apsis an.

$bb-06$ $bb-07$ Der gelungene Plan und die sehr schönen Kapitelle ebenso wie die zahlreichen anderen Steinmetzarbeiten rechtfertigen die Klassifizierung dieser außergewöhnlichen Dorfkirche. Obwohl zuletzt 1990 restauriert ist sie wieder in einem bedauernswerten Zustand, worüber auch der frische Blumenschmuck an einer schönen Madonna - der Association Notre Dame de Blécourt sei Dank - leider nicht hinwegtäuschen kann. Aber wer soll in diesem 100-Seelen-Dorf diese Aufgabe stemmen?

$bb-08$ Ich finde sogar einen Tisch mit einem Stempel für mein Pilgerheft, und um 10 Uhr verlasse ich diesen schönen Ort auf dem GR 703, der hier 'Sur les pas de Jeanne d’Arc' heißt. Mein Outdoor Wanderführer warnt davor, der Weg sei kompliziert und nicht gut zu finden, aber im Zuge der Errichtung mehrerer Windkraftanlagen in den letzten Jahren auf dem Höhenzug sind die Wege offensichtlich neu hergerichtet worden; es gibt keinerlei Schwierigkeiten.

Ein Weg wie aus dem Bilderbuch führt mich hinab nach Leschère-sur-le-Blaiseron. Es ist ein wirklich schöner Ort, mit einer schmucken Mairie und schönen, blumengeschmückten Häusern am Fluss entlang. In der Anlage vor der Mairie stehen ein paar Bänke, die mich zu einer ausgedehnten Pause einladen; Punkt 12 Uhr geht es weiter, der nächste Ort ist Ambonville, wo ich eine halbe Stunde später eintreffe. $bb-09$ $bb-10$ $bb-11$ $bb-12$

Die Postbotin läuft mir über den Weg. Ich weiß, dass Postboten alles wissen, was in ihrem Bezirk vor sich geht, und ich frage sie, ob es tatsächlich in dieser ganzen Gegend keine Unterkunft für Pilger gibt, was doch in Anbetracht der großen Entfernung zwischen Joinville und Colombey wünschenswert wäre. „Aber doch, seit letztem Jahr gibt es hier in Ambonville eine große Herberge. Der Pfarrer von Joinville ist hier aus dem Dorf, er hat sie eingerichtet, und seine Schwester versorgt sie – warten Sie, ich bringe Sie zu ihr!“ Volltreffer! Sie heißt mich in ihr Postauto einsteigen – es könnte schon zu Napoleons Zeiten im Dienst der Post gewesen sein – und bringt mich „postwendend“ zu der besagten Pfarrers-Schwester.

$bb-13$ Obwohl Mittagszeit ist und sie sicher Wichtigeres zu tun hat, geleitet sie mich zur neu eingerichteten Herberge. Sie bietet Platz für 6 bis 8 Personen und ist mit Küche und sogar einer Waschmaschine gut und ordentlich ausgestattet. Ich kann leider nicht hierbleiben, weil ich ja in Colombey reserviert habe und mein ganzer Plan durcheinandergeriete. Ich bedanke mich für die Führung und verspreche, Werbung für die Herberge zu machen.

$bb-14$ $bb-15$ Weiter geht es auf der kleinen, ruhigen Straße durch die leicht gewellte Landschaft. Nach einer guten Viertelstunde erkenne ich auf einer kleinen Anhöhe in der Ferne den Hügel über Colombey-les-deux-Églises mit dem riesigen Lothringerkreuz. Ich erschrecke angesichts der Entfernung, die ich noch zurückzulegen habe; ich habe erst wenig mehr als die Hälfte meines heutigen Weges geschafft. Nach einer weiteren halben Stunde senkt sich die kleine Straße ins Tal der Blaise. Ich passiere das kleine, verlassen wirkende Dörfchen Guindrecourt und überquere die Blaise nahe einer alten Mühle, die jedoch nicht mehr in Betrieb ist. Den Ort Blaise berühre ich nur ganz am Rande, die Straße nach Champcourt zweigt direkt am Ortseingang ab. Auch hier wieder das gleiche Bild wie zuvor: eine weite, leicht wellige Landschaft mit riesigen Feldern, hier und da von kleinen Wäldern eingefasst.

$bb-16$ $bb-17$ Gegen 3 Uhr treffe ich in Champcourt ein. Nach meiner Karte kann man sowohl links als auch rechts herum um die Kirche gehen. Einen Mann, der auf einer Bank vor der Kirche sitzt, frage ich nach der besseren Variante. Wie erwartet empfiehlt er mir, nachdem ich ihm mein Ziel, Colombey genannt habe, den direkten Weg zur unmittelbar am Ort vorbeiführenden D 40, die direkt nach Colembey führt. Kopfschüttelnd nimmt er meine Entscheidung zur Kenntnis, die stark befahrene Straße zu meiden und lieber den kleinen Umweg 'über Land' in Kauf zu nehmen.

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Harricourt und Biernes sind die nächsten Stationen auf meinem Weg. Eingangs Biernes nähert sich bedrohlich eine ganze Rinderherde dem Zaun, an dem die Straße vorbeiführt. Ich erinnere mich an eine ähnliche Situation auf unserem Jakobsweg im Armagnac 1997; damals war es die selbe Rinderrasse, die sich uns angriffslustig genähert hatte. Dank des Zaunes passiere ich unbeschadet. Eine kleine Kirche mit einem wuchtigen niedrigen Turm beherrscht das kleine Dorf. Von Biernes bis Argentolles gibt es endlich mal wieder einen Weg statt Asphalt.

$bb-20$ Argentolles verbirgt sich, ähnlich den vorherigen Dörfer, in einer kleinen Senke. Es gibt gerade noch 40 Einwohner, aber eine Champagner-Kellerei. Es ist der erste Ort auf meinem Weg, in dem Champagner hergestellt wird. Auf dem Platz vor der Kellerei sind einige Tische und Bänke aufgestellt – vermutlich für Verköstigungen im Freien – wo ich mich auch zu einer letzten Pause niederlasse. Leider erscheint niemand, um mir ein Glas Champagner anzubieten: ich muss mit meinem mittlerweile lauwarmen Wasser vorlieb nehmen.

Um Viertel vor Fünf nehme ich die letzten 3 km bis zu meinem Ziel in Angriff. Es geht stetig bergauf, Colombey liegt auf einer Hügelkuppe vor mir. Auf den letzten Metern werden die Füße immer schwerer, aber dann habe ich es endlich geschafft.

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$bb-23$ Nachdem ich im Hotel Colombier mein sehr schönes Zimmer bezogen und mich frisch gemacht habe, starte ich zu einem kleinen Rundgang durch das berühmte Dorf, in dem Charles de Gaulle lange Zeit gelebt und zu Beginn seiner zweiten Regierungszeit 1958 den damaligen Bundeskanzler Adenauer in seinem Privathaus empfangen hatte. Bemerkenswert bei diesem Besuch ist, dass de Gaulle niemals zuvor und niemehr danach einen ausländischen Staatsgast in sein Landhaus in Colombey eingeladen hat. Zu meinem Erstaunen gibt es, anders als es der Name des Ortes, Colombey-les-deux-Églises, vermuten lässt, nur eine Kirche, wo es einen für den General reservierten Platz gibt. Im Office de Tourisme, wo man mich daran erinnert, dass ich mich nunmehr in der Champagne befinde, erkundige ich mich noch über die Besuchsmöglichkeiten im neuen, dem großen Staatsmann gewidmeten Museum.

$bb-24$ $bb-25$ Zum Abendessen muss ich ins Restaurant Grange au Relais, dessen Inhaber auch das kleine Hotel Colombier betreibt, in dem ich untergekommen bin. Das Haus ist mir eigentlich zu vornehm, aber es gibt kein anderes hier. Die erste Kellnerin, die mich bedient, lässt mich merken, dass mein Outfit dem Stil des Hauses nicht angemessen ist; sie ist entsprechend distanziert. Ihre Kollegin, die wenig später übernimmt, ist dagegen ausgesprochen freundlich. Das Essen ist vorzüglich und zu meiner Überraschung muss ich mein Sparschwein nicht schlachten.

Es ist noch einmal ein Kilometer zurück zu meiner Unterkunft. Heute bin ich tatsächlich geschafft.
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