Samstag, 9.10.1999 -
Von Logroño nach Najera
Das Hotel in der Stadtmitte war gut, obwohl die Anfahrt am Vorabend gewisse Schwierigkeiten machte: Zuletzt
konnten die Autofahrer die Verkehrsschilder nicht mehr lesen und fuhren voll nach Gefühl auf die Parkgarage zu.
Am Morgen versorgten wir uns mit Proviant und Wasser im nahen Mercado und folgten den Zeichen durch die
winkeligen Gassen. Die Kirche Santiago del Real mit Jakobus als Maurentöter über dem Seitenportal hielt uns
als erste fest. Der Platz davor war sehr schön gestaltet. Von allen Seiten waren die Paparazzi tätig, als
die Gruppe einzog, staunte, besichtigte und das Morgenlied sang.
Als sich der Schwarm wieder in Bewegung setzte, war Manfred abhanden gekommen. Man munkelte und vermutete,
er wolle seinen Grippe-Affekt vom Vorabend unter Kontrolle bringen; er müsse eine Weile schweigen, weil er
zu viel geredet habe; er möchte einige Augen für Stunden nicht auf sich gerichtet haben; er sei auf dem Bußweg
nach Santiago, ganz aktuell. Gert und Bernhard machten sich nach einer Weile auf den Rückweg bis zur Kirche,
kamen aber ohne den Vermissten allein zurück. Da klingelt ein Handy und der Verschollene meldet sich als
Ausreißer von draußen vor der Stadt. Dort wurde er auch nach den langen Vorstadtstraßen eingefangen. Dann
überquert das Jakobsgeschwader eine Autobahn und trottet auf gut ausgebauten Spazierwegen auf den künstlichen
See Pantano de La Grajera zu. Fast auf der anderen Seite der Krone angelangt ist Rast und Zeit für die
Meditation des Tages: Ruinen. Mehr dazu ist eingefangen und festgehalten im „Buch der Franziskanischen
Sprüche“ von M. Prefi.
In den angrenzenden lichten Wäldern ist schon Betrieb. Langsam steigt der Weg
wieder an. Auch die Sonne steigt, bis wir wieder Straßen und Autobahn überqueren und Weingärten passieren.
Von der Höhe ist Navarete am Berghang in der Ferne auszumachen. Da leuchten blaue Rioja-Trauben hinüber -
dick und in Fülle: Fotoapparate klicken, aber kaum noch Lust sich zu bedienen. Vor Navarete ein Bauernhof:
neben dem Stall in einem leeren Futtersilo wohl 30 Maststiere.
Die Vorhut mit und um Bernhard hat sich bereits in der kühlen Kirche einquartiert und betrachtet den riesigen
angeleuchteten vergoldeten Altar. Als alle Pilger da sind, setzen ein- und mehrstimmige Gesänge ein - lang
und andauernd, nicht unbekannt. Dann schlägt die Turmuhr 12 und die Kirche wird geschlossen, nachdem die
deutsche Pilgerschar sie verlassen hat.
Draußen unter den Bäumen platzen wir uns zur Mittagspause. Brigitte hat plötzlich Fuß- und Knöchelprobleme.
Edgar als erfahrener LKW-Fahrer der Bundespost versorgt das Laufgestell mit kaltem Wasser aus einem Brunnen.
Dann ist noch Capuccino und Pipi angesagt, - und die Pilgerschaft setzt sich zunächst über 7 km im Auto fort.
Walter hatte den Schummel sofort bemerkt, denn es waren eben nur 5 km ins Visier genommen worden; am liebsten
wäre er die 2 km zurückgelaufen. Wolfgang und Brigitte fahren mit SB-R-3883 bis Najera, um uns dort zu erwarten.
Wir Fußpilger folgen noch etwa 1 km der Landstraße, um dann wieder auf Feldwegen weiterzupilgern.
Rosenkranzgebet. Wir kommen sehr erschöpft in Najera an, quälen uns durch die Straßen und überqueren nach
einer Ruhepause die Najerilla. Von der Brücke aus entdecken wir unsere Autopilger. Wir feiern Wiedersehen
und begießen es in einem Lokal im Freien - bis Bernhard, Gert und Walter die Autos nachgebracht haben. Najera
war 923 von Leon und Navarra gemeinsam zurückerobert worden.
Dann betreten wir das Kloster Santa Maria la Real, das Don Garcia, der große König aus dem Ort, 1052 mit
der Kirche gegründet hatte. 1079 erhalten die Mönche aus Cluny den ganzen Komplex zur Betreuung; heute
Franziskaner. Wir sind total beeindruckt von der dreischiffigen gotischen Kirche aus dem 15. Jahrhundert
mit barockem Inventar, von der Königsgruft und den Gräbern, vom Kreuzgang der Ritter, von der Marienstatue
und am meisten noch von der Kunst auf der Empore. Wir sind begeistert, vor allem, weil wir solches nicht
erwartet haben: ein Höhepunkt auf dem Jakobusweg 1999.
Beim Verlassen der Klostermauern reklamiert Manfred seine Mütze: Alle Hilferufe ohne Echo. Auch ein erneuter
Kontrollgang und Suchaktion mit Beatrix bleiben ohne Erfolg. Die Mütze erscheint indes sekundär - primär
ist wohl der Lobgesang auf die tapfere Hausfrau und bessere Hälfte Ilona, von der Manfred unverhohlen schwärmt.
Die Rückfahrt bleibt bis Logroño problemlos. Dann aber wird es verzwickt, weil eine Demo zu Umleitungen zwingt,
die endlich wieder gegen alle Verkehrszeichen in der Tiefgarage enden. Zum Abendessen ist Stadtbummel angesagt.
In und vor den Bars stauen sich die Massen; die ganze Stadt ist auf den Beinen bis ... wir längst schlafen und
Urlaute aus der Tiefe zu uns aufsteigen.
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