Gedanken auf dem Jakobsweg
Ruinen
- am See bei Logroño
So, jetzt weiß ich nicht, ob wir unsere Themen noch alle zusammenbekommen. Was hatten wir am ersten Tag?,
Aufbruch, dann hatten wir Rückblick, Landschaft, die kleinen Dinge am Wege, Weggefährten, Kirchen, und
heute haben wir das Thema Ruinen.
Sie sind zunächst einmal etwas unnatürliches, weil mit Steinen Gebäude errichtet waren; Häuser, in denen
Menschen gewohnt haben, Klöster, Kirchen, Keller, Unterstände, Türme, Burgen, Schlösser. Immer und überall
haben Menschen Steine zusammengetragen und daraus etwas errichtet, in dem sie gewohnt haben, in dem sie
Schutz fanden, mit dem sie repräsentiert haben, in dem sie sich verteidigt haben in Burgen, immer und
immer wieder, und dann sind diese Gebäude, wie sie auch immer ausgesehen haben, zerfallen, weil sie nicht
mehr gebraucht wurden. Oder weil man sie mutwillig zerstört hat; aber sie wurden dann nicht wieder
aufgebaut, weil man sie nicht wieder gebraucht hat. Und dieser Zerfall ist weithin dann eine natürliche
Angelegenheit. Nichts bleibt wie es ist, klagen wir, und das wird am allerdeutlichsten an Ruinen. Nichts
bleibt wie es ist; das müssen wir auch heute sagen, wenn wir unsere schönen Häuser, Kirchen, Verwaltungsgebäude,
Fabriken, all das sehen, ja das was Menschen mit größtem Aufwand herrichten, ist vielleicht sogar am
kurzlebigsten, wenn wir beispielsweise an unsere Atomkraftwerke denken. Manches Kaufhaus haben wir entstehen
sehen und manche Fabrik, und haben schon wieder erlebt, wie sie abgerissen wurden; innerhalb eines
Menschenalters, ja innerhalb eines Jahrzehntes vielleicht sogar. Ruinen. Nichts bleibt wie es ist. Sie
haben eine Botschaft; Zeichen der Vergänglichkeit; vielleicht auch Zeichen von menschlicher Gewalt, von
menschlicher Macht. Aber auf alle Fälle, wenn ein Haus, wenn ein Gebäude, wie es auch immer aussieht,
sich selbst überlassen ist, zerfällt es zur Ruine. Oder man könnte auch umgekehrt sagen, damit etwas
Bestand hat bedarf es der ständigen Renovierung, Erneuerung, des ständigen Hinsehens. Manchmal sind es
wenige Steine von Ruinen, die uns beeindrucken; vielleicht nur ein Burgfried, oder ein Tor, oder ein
Fenstersturz, eine Treppe; manchmal ahnen wir die Größe, die Anstrengung, die Mühe, mit der Menschen
etwas errichtet hatten, und es ist vergangen. Die Griechen sagten „panta rei“ - alles ist im Fluss.
Vielleicht sind Ruinen aber auch ein Bild für unser eigenes Leben. Auch da haben wir manche Ruinen.
Freundschaften, die nicht mehr bestehen, die zerbrochen sind aus Unachtsamkeit, aus Gleichgültigkeit.
Da haben wir uns manchmal gemüht um etwas zustande zu bringen und nichts kam heraus, weil wir uns
übernommen hatten, weil wir den verkehrten Plan hatten, weil wir uns partout für das eingesetzt haben,
was nicht zu halten war. Ruinen in unserem Beruf - einfach Ruinen auch in unserem eigenen Vorhaben, in
unserem Plänen, die wir hatten. Bei Jesaia heißt es Da sagt Gott: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken,
und meine Wege sind nicht eure Wege“.
Ruinen haben eine Botschaft; wir werden heute wieder einige sehen; wir haben in den vergangenen Tagen
schon immer wieder welche gesehen, aus den verschiedensten Bereichen; gestern die große Kirche in Viana,
San Pedro, eine Ruine, die Einsiedelei war eine Ruine, sie können uns zum Nachdenken anregen.
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