Gedanken auf dem Jakobsweg

Der Weg
- in der Pfarrkirche von Azofra

Wir sind den achten Tag unterwegs, und haben mittlerweile viele Wege gekreuzt und sind einen Weg gegangen. Der Weg und die Wege. Etwas alltägliches, dass wir Wege gehen. Etwas, wobei wir uns gar nichts mehr denken. Und doch haben alle Wege ein Ziel. Der Weg ist die Verbindung zum Ziel. Ob es die Arbeit ist, ob es die Begegnung ist, ob es die Freizeit ist, ob es ein Treffen mit der Vergangenheit ist, mit der Kultur, alle Wege haben ihre Ziele. Alle Wege sind Verbindungen, und wir sind schon unendlich viele Wege gegangen. Jetzt sind wir im fünften Jahr auf dem Weg. Manche sagen, der Weg sei das Ziel. Ein gutes Wort; man kann auch darüber nachdenken. Aber ich meine, auf dem Weg ereignet sich das Leben. Auf dem Weg ereignet sich das Leben. Und der Weg macht auch etwas mit uns; zumindest sind wir abends müde; alle. Der Weg macht uns müde. Der Weg macht uns bekannt mit der Landschaft. Am Weg stehn die vielen kleinen Dinge. Der Weg führt vorbei an den Ruinen, von Zeugnissen der Vergangenheit. Am Weg stehn viele Kirchen; Zeugnissen des Glaubens; aus vergangenen Jahrzehnten, Jahrhunderten. Der Weg bringt uns zusammen: Dass wir miteinader sprechen; dass wir miteinander lachen. Der Weg macht uns offen für vieles, was in unserem Alltag überhaupt keine Rolle mehr spielt, und was plötzlich auftaucht, ins Auge fällt und in unser Herz. Der Weg bringt uns zu Menschen, die wir vorher nie gesehen, gehört, gekannt haben; zu solchen, die mit uns auf diesem Weg sind, die wir immer wieder treffen, wie in Viana, Deutsche, Spanier, die Weggefährten sind, geworden sind. Der Weg macht uns größer. Wir erfahren, erleben, begegnen, alles, was wir vorher nicht hatten, was wir nicht kannten. Unser Herr Jesus Christus ist viele Wege gegangen zu den Menschen; dabei ging er an niemandem auf seinen Wegen achtlos vorüber. Ein Blick, ein Auge, ein Ohr, ein Wort, eine Hand, ein Herz hatte er. Wir sind unterwegs nach Santiago, dem Ort, an dem man einen seiner Apostel, eben den Jakobus verehrt; einer von denen, die Zeuge waren; einer, der seine Wege mitging, der in seiner Nachfolge stand. Und auf diesem Weg den wir gehen nach Santiago sind vor uns schon Tausende, vielleicht Millionen gegangen, die sich auch vom Weg haben locken, führen, treiben, ziehen lassen, mitnehmen lassen. Es ist ein eigentümlicher Weg, der Weg nach Santiago; kein Wanderweg, kein Spazierweg, ein echter Pilgerweg; vielleicht ein solcher Pilgerweg, wie es keinen zweiten mehr in der Welt gibt. Und dafür darf man schon schwitzen, sich der Sonne aussetzen, Hunger und Durst haben, und abends müde sein. Dieser Weg verändert uns, ob wir es wollen oder nicht.

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