Gedanken auf dem Jakobsweg
Kirche oder Kirchen
- im Kloster Irache
Aufgebrochen sind wir am Sonntag, am Montag, am Dienstag, am Mittwoch, und heute ist schon der fünfte
Tag. Und auch der heutige Aufbruch war wieder ganz anders, und wir haben zurückgeschaut am Montag, am
Dienstag, gestern, jeden Tag. Nach vorne und zurück, denn beides, der Weg, den wir gegangen sind, liegt
hinter uns, der Weg, den wir gehen wollen, liegt vor uns. Wir haben die Landschaften gesehen und in uns
aufgenommen und bestaunt. Wir konnten uns gar nicht satt genug sehen, aber wir mussten weiter, wir haben
die kleinen Dinge am Weg wahrgenommen, die so oft übersehen werden, die gar nicht beachtet werden und
festgestellt, ein jedes hat sein Gesetz, nach dem es lebt. Jede Blume hat ihr anderes Gesetz, jedes
Schneckenhäuschen, jeder Käfer, der da kräucht und fläucht, jedes lebt nach seiner eigenen Ordnung.
Heute Morgen haben wir in Estella schon einige Kirchen gesehen, auch jetzt sind wir in einer Kirche.
Vielleicht ist das heute unser Thema: Kirche. Auch da stellen wir fest: Gebaut haben die Christen von
Anfang an, sobald es ihnen möglich war nach der Freigabe, nach der Religionsfreiheit Konstantins im
Jahre 324, durch alle Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag und der Stil der Baukunst war der Stil
der jeweiligen Zeit. Die Zeit ist hineingenommen in die Kirche. Die Kirche lebt in der Zeit, in der
jeweiligen Zeit, und wenn wir heute zurücksehen auf Kirchen wie diese, oder auch in Estella, wo wir
eben waren, so sehen wir eigentlich zu Stein gewordenen Glauben. Steine sind aneinander gefügt, viele
Steine, und sie ergeben ein Gebäude. Es ist mehr als eine Behausung; es ist mehr aus ein Raum; jedesmal.
Es ist jedesmal ein Tempel, es ist jedesmal der Versuch, den Glauben darzustellen. Vielleicht in jenen
Kirchen, die wir gestern gesehen haben, die letzte, die kaum Fenstern hatte: Wenn Du hier hineinkommst,
bist Du geborgen!
In den gotischen Kirchen, die unsern Blick an den Pfeilern emporführen bis in die Obergaden und das
mystische Licht: Dorthin bist Du unterwegs! In den Darstellungen der Apostel, wie wir sie heute Morgen
gesehen haben, in den Darstellungen der Heilsgeschichte: Das alles ist Deinetwegen geschehen; Du bist
hineingenommen; Du bist ein Stück lebendige Kirche! Die dargestellt sind waren die Menschen wie Du und
ich! Ihr Glaube ist zu Stein geworden, darauf sind wir aufgebaut. Ihr sprecht uns an, in der Kunst,
ohne Worte.
Auch das, was sie gebaut haben, mussten sie zuerst in ihren Herzen haben; zuerst mussten sie es innen
haben bevor es nach außen kam; und wir nehmen es von außen wahr und möchten es wieder in unser Inneres
nehmen. Steine haben viele Möglichkeiten. Zusammengefügt zu einer Kirche, Tausend und Abertausend,
ergeben sie einen prächtigen Bau. Offene Kirchen, bei denen wir eintreten können, bei denen wir sagen:
„Ja, da gehören wir dazu“. Verschlossene Kirchen, die enttäuschen, die für uns zu sind, zu denen wir
keinen Zugang haben. Kirchen, geschmückt mit Statuen; Menschen, die Heilige darstellen. Manchmal stehen
sie hoch über uns, eigentlich sollten sie auf unserer Ebene sein; vielleicht nur ein wenig erhöht.
Vielleicht sollten sie weniger vor uns sein, sondern vielleicht sollten sie eher neben uns sein, an den
Wänden, als die Begleiter, als unsere Wegbegleiter, wie Menschen, die in unseren Schuhen gestanden haben,
die unsere Wege gegangen sind.
Kirchen haben eine Botschaft. Man braucht Zeit. Man darf darüber nachdenken. Wir dürfen sie mitnehmen
auf unserem Weg. Und immer wieder begegnen wir ihnen, begegnen wir den Kirchen und der Kirche.
Heute ist das Rosenkranzfest, deshalb macht es sich sehr gut, dass wir vor dieser Muttergottes-Statue
hier sind, die sicher eine ganz lange Kunstgeschichte hat, die viele Menschen schon verehrt haben und
von der viele Menschen Trost und Hoffnung und Zuversicht im Glauben gefunden haben. Auch sie ist ein
Bild der Kirche. Maria; vor allem; und zuerst. Sie zeigt uns Christus hier, in dieser Statue vor uns:
Ich bringe ihn zur Welt für euch; da habt ihr ihn; nehmt ihn an. Die Kirche bietet ihn dar. In der
Kirche ist er zuerst zu finden; aber nicht nur.
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