Mittwoch, 6.10.1999 -
Von Puente la Reina nach Estella
- Die kleinen Dinge am Wege
Puente la Reina liegt geographisch im Herzen Navarras. Es erhebt sich genau an der Stelle, an der die
Jakobswege zusammentreffen. Wir haben im Hotel Jakue, etwas außerhalb der Stadt, übernachtet. Ein sehr
schönes, noch recht neues Hotel.
Unsere 4. Etappe beginnt um 7.30 Uhr mit dem Frühstück. Wie in guten spanischen Hotels üblich, ist es sehr
reichhaltig. Es schmeckt uns. Heute ist die Stimmung etwas gedrückt. Es heißt Abschied nehmen von Karolin.
Denn gestern kam während des alltäglichen Rosenkranzes über das Handy von Beatrix die Nachricht vom Tod
ihrer Schwiegermutter. Ein plötzlicher Tod. Karolin musste leider nach Hause. Beatrix organisierte und
koordinierte den Heimflug von Pamplona nach Frankfurt. Ihr Auto überließ sie Bernhard und Karin, Darüber
waren alle sehr froh und dankbar. Konnten doch dadurch die beiden mit uns den Pilgerweg weiter gehen.
Nach dem Frühstück wurde das Gepäck verstaut. Tonis Auto blieb in Puente la Reina. Die drei anderen wurden
nach Estella vorgefahren. Wir nahmen Abschied von Karolin; Bernhard, Karin und Beatrix, sie wurde als
Dolmetscherin gebraucht, begleiteten sie zum Flugplatz nach Pamplona. Vereinbarter Treffpunkt für alle:
die Brücke Puente la Reina. Die anderen Pilger machten sich auf den kurzen Weg zum historischen Stadtkern.
Verpflegung für die Tagesetappe musste noch eingekauft werden. Die Stadt hat sich noch manches aus früheren
Jahrhunderten bewahrt. Der Pilgerzulauf zwang dazu, die Brücke Puente del Arga, später umbenannt in Puente
la Reina, zu bauen. Die barocke Klosteranlage aus dem 18. Jahrhundert war eine Pilgerherberge. Wir schlendern
an der Kreuzkirche vorbei, sie wurde von Tempelrittern gegründet. Leider war auch diese wie viele andere,
um nicht zu sagen wie fast alle Kirchen in Spanien, aus Angst vor den Jakobspilgern verschlossen. Der Grund
war für mich unfassbar: „Es wird zu viel gestohlen und teilweise verwüstet“. So konnten wir an der Kreuzkirche
nur das schöne romanische Portal bewundern. Unser Weg führte weiter durch eine schmale, kopfsteinbepflasterte
Straße, die Calle Mayor mit beidseitig braun-dunklen Häusern. Die Straße verläuft schnurgerade in Ost - West
Richtung. Sie ist Teil des alten Pilgerweges. Es gibt dort einige schöne, kleine Geschäfte für unseren
Einkauf. Danach besichtigten wir die Santiago-Kirche. Im Inneren der Kirche konnten wir die sehr
reichhaltige Ausstattung bewundern. Vergoldete Barockaltare, ein Hochaltar mit einem szenenreichen
Hauptretabel aus dem 18. Jahrhundert. Auch die zwei Meter hohe geschnitzte Jakobusstatue hat uns
beeindruckt. Wieder auf der Calle Mayor trafen wir Pilger aus Passau, die mit dem Bus unterwegs waren.
Die Calle Mayor führt direkt zur Puente de los Peregrinos (Pilgerbrücke). Sie überspannt den Fluss Arga.
El Puente de la Reina - die Brücke der Königin - nach dieser Brücke wurde die Stadt benannt. Einige sagen,
die Brücke habe die Gemahlin von König Sancho Garces III. gestiftet, wieder andere behaupten, sie sei von
ihrer Schwiegertochter Doña Estefani gestiftet worden. Wir gingen weiter über die Brücke und besahen sie
von allen Seiten. Eine Bilderbuchbrücke. Mit sechs Rundbögen wölbt sie sich über den Fluss. Jeder einzelne
Bogen ist so bemessen, dass er sich zusammen mit der Spiegelung im Wasser zu einem Kreis ergänzt. Es wurden
die Kameras gezückt. Die berühmteste Brücke des ganzen Pilgerweges wollten wir alle als Foto mit nach Hause
nehmen.
Hier warteten wir auch auf Bernhard, Karin und Beatrix. So gegen 10.30 Uhr waren wir alle beisammen.
Die Route verlief jetzt auf einem gut begehbaren Feldweg. Nach einer Weile wird dieser Weg zu einem steilen
Pfad. Am Anfang des Aufstieges hatten wir unsere morgendliche Meditation. Thema des Tages: Die kleinen Dinge
am Wege - Pflanzen, Blumen und Tiere der Landschaft. Die Meditation war sehr gehaltvoll und ging in die Tiefe.
Die Luft war erfüllt vom Duft des wilden Rosmarins und von Thymian. Eidechsen sonnten sich auf den warmen
Steinen. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel. Durch die Meditation darauf aufmerksam gemacht,
entdeckte man die Vielfalt von Tieren und Pflanzen dieser kargen Landschaft.
Der Weg verläuft jetzt im Wechsel bergauf und bergab zwischen Hügeln und Niederungen. Allmählicher Übergang
in eine wunderbare Kulturlandschaft. Es ist ein weiches Gehen über diese rotbraunen mit Gras bewachsenen
Pfade. Die Erde am Weg ist sonnenwarm, eine Schafherde zieht vorüber. Weinberge über Weinberge mit einer
solchen Ernte beladen, wie ich es selten sah. Überhaupt, diese Weinstöcke. Wie kleine knorrige Bäume sind
sie in die Erde gepflanzt. Stabil und gesund sahen sie aus. Mächtige Traubenklötze hängen daran. Welche
Pracht für die Augen.
Weiter auf dem Weg kommen wir nach Mañeru. Es liegt auf einem Hügel. Alte Adelswappen prunken an einigen
Häusern. Wir wollten in die Kirche. Leider war auch diese verschlossen. Weiter ging es durch den Ort.
Walter und ich waren der Gruppe etwas voraus. Bald sahen wir auf einer Anhöhe die Ortschaft Cirauqui.
Weiß gekachelte Häuser, ausladende Balkone, Toreinfahrten mit Adelswappen, Treppen, Fenster und Türbogen,
ein idyllischer Ort, der Vergangenheit bewahrt hat. Cirauqui ist gestaffelt gebaut. Ganz oben erhebt sich
die Kirche San Román, Wir steigen die vielen Treppen hinauf. Vor der Kirche stehen Bänke. Auch ein Brunnen
ist da. Ein schöner, sonniger Platz. Wir beschließen, hier Mittagsrast zu halten. Wasser war ja genügend
vorhanden. Schnell war Käse, Wurst, Brot und Obst ausgepackt. Wie jeden Tag während des Essens wurden
Fotos gemacht, die Wasserflaschen nachgefüllt.
Zum Abschluss schauten wir uns noch das wunderschöne
romanische Portal der Kirche San Román an. Das Portal beeindruckte. Der islamische Türbogen war mehrfach
ausgelappt und gezackt, ein Beweis arabischen Einflusses. Hinter Cirauqui ist der Weg plötzlich mit Steinen
gepflastert. Hier verlief einst eine Römerstraße. Nur dieser Abschnitt ist erhalten geblieben. Mit
Zypressen gesäumt, ähnlich der Via Appia in Rom. Die Steinbrücke, die einst eine kleine Schlucht
überspannte, ist nicht mehr. Nur noch Steinreste. Wir mussten daher die Senke hinuntersteigen und auf
der anderen Seite wieder nach oben. Allmählich kletterte das Thermometer auf die 30° Marke. Uns wurde
ganz schön heiß. Wir kamen jetzt durch weniger bewohnte Gegenden. Walter und ich gingen wieder ein
gutes Stück voraus. Über schmale Pfade, vorbei an schönen Olivenhainen und Weinbergen. Auch die Olivenbäume
schienen mir uralt zu sein. Kurze, knorrige, zerfurchte Stämme. Das Laub silbriggrün schimmernd, mit
einer satten Ernte beladen. Die Luft war weich und warm. Alles machte einen so friedlichen Eindruck.
Es war ein herrlicher Tag. Auffallend waren die vielen zubetonierten Pfade und Feldwege durch die
Olivenhaine und Weinberge. Gegen 17.00 Uhr erreichten wir Estella. Wir überquerten eine vielbefahrene
Straße. Ein kleiner Fluss, der Rio Ega, wälzte sich schmutzig und stinkend an der Stadt vorbei.
Estella, ein viel versprechender Name für eine Stadt. Wird das „E“ am Wortanfang weggelassen, heißt es
Stella, das bedeutet Stern. Bella, die Schöne, wurde Estella im Mittelalter genannt. Es war eine blühende
Metropole mit Kirchen und Palästen, lange Zeit die Residenzstadt der Könige von Navarra und wichtiges
Handelszentrum mit regelmäßigen Wochenmärkten.
Wir warten am Anfang der Stadt auf die übrigen Jakobswanderer - beobachteten das laute Treiben und den
starken Verkehr dieser Stadt. Müde schauen wir uns nach einer Sitzgelegenheit um. „Wo stehen denn die
Autos“? Walter sagt, wir müssen wohl durch die ganze Stadt bis zum Parkplatz. Der wiederum befindet sich
in der Nähe unseres Hotels.
Nach und nach trafen alle Wanderer müde und abgespannt an unserem Treffpunkt ein. Wir beratschlagten noch
eine kleine Weile, wie der Standort unserer Autos zu finden sei. Es wurde klar, dass wir noch die ganze
Stadt zu durchqueren hatten. Der Weg führte durch die Altstadt mit ihren hohen Häuserwänden. Die Sonne
hatte es schwer hier durchzukommen. Etwas duster wirkte alles auf mich. Hier war noch etwas zu spüren
von der Kultur vergangener Jahrhunderte. Vieles auch in dieser Stadt musste dem Tourismus weichen. Für
mich wollte diese Straße kein Ende nehmen. Fast am Ende meiner Kräfte erreichten wir den Parkplatz.
Unser Hotel war in Sichtweite. Wir stiegen ein und fuhren die kurze Strecke; es lag an einer viel
befahrenen Straße. Nur wenige Parkplätze waren vorhanden, die zum Teil noch in die verkehrsreiche
Hauptstraße hinein ragten. Das machte das Be- und Entladen der Autos etwas schwierig. Wir waren froh
wieder ein so schönes Hotel für uns zu haben. Trotz Lärm und Verkehr war es drinnen ruhig und kühl.
Bis auf die Cafébar. Die sollte uns in Erinnerung bleiben. Schnell wurden die Zimmer verteilt. Im 4.
Stock bezogen Walter und ich unser kleines Reich, sehr schön und sauber. Schnell geduscht und umgezogen.
Abendessen war erst nach 20.30 Uhr, wie in Spanien so üblich. Vorher trafen wir uns in der besagten Cafébar.
Laut ging es dort zu. Wir konnten kaum unsere eigenen Worte verstehen. Trotz allem schmeckte uns der
Aperitif vorzüglich. Nach einem guten Essen mit gebratenem Lachs und einer kurzen Lagebesprechung für
die nächste Tagesetappe beschlossen wir diesen wunderschönen Tag.
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