Gedanken auf dem Jakobsweg
Die kleinen Dinge am Wege
- beim Anstieg aus dem Tal des Rio Arga zwischen Puente la Reina und Mañeru
Aufbruch war unser Thema am ersten Tag, Rückblick unser Thema am zweiten Tag, gestern haben wir das
Thema Landschaft gehabt im Angesicht der Weite, der weiten Ebene zu beiden Seiten des Höhenzuges, im
Angesicht der Berge ringsum die Talkessel, und es hat uns gestern mächtig mitgenommen. Wir sind unsern
Weg gegangen und gehen ihn weiter, und am Weg stehen die vielen kleinen Dinge, an denen man so schnell
vorbeigeht, und die doch eigentlich den Weg ausmachen. Da stehen die Sträucher der wilden Rosen, die
jetzt Hagebutten tragen, da stehen kleine Sträucher mit Pfaffenhütchen, da steht der wilde Thymian,
da stehen die Glockenblumen, da stehen alle möglichen Blumen und Sträucher, die wir überhaupt nicht mit
Namen kennen, die aber alle den Weg ausmachen: Das Gras, die Herbstzeitlosen, die Schnecken, die
hochgekrabbelt sind und sich das Jahr über dort aufgehalten haben. Es ist so viel zu entdecken am Weg.
Die vielen kleinen Dinge am Weg machen auch den Alltag aus. Es sind selten die großen Ereignisse; die
sind wenig; das allermeiste sind die kleinen Dinge. Ein Gespräch, eine Unterhaltung, die zum Lachen
bringt, einen allein oder die ganze Gruppe, eine Erinnerung, die immer wieder kommt, ein Wegstück,
das sich bei uns tief eingeprägt hat; vielleicht auch manchmal eine Traurigkeit, manchmal eine Marotte,
die wir haben, über die die andern lachen, über die wir vielleicht auch selber lachen. Der Alltag besteht
aus vielen kleinen Dingen. Das wird uns auch bewusst wenn wir hier unsern Weg gehen, Schritt für Schritt,
um jede Wegbiegung etwas neues entdecken. Auch nicht immer das Großartige, die große Landschaft, die es
gestern war, vielleicht werden wir sie heute wieder so sehen, da kann man sich sehr, sehr freuen, aber
wir sollten auch unsere Augen auf das richten, was so nebenbei steht. Ich denke immer an das schöne
Lied von Goethe,
Ein Veilchen auf der Wiese stand
gebückt in sich und unbekannt
es war ein herzliebs Veilchen.
Da kam die junge Schäferin
mit leichtem Schritt und munterm Sinn
daher, daher, die Wiese her und sang.
Ach, denkt das Veilchen, wär ich nur
die schönste Blume der Natur
auch nur ein kleines Weilchen
bis mich das Mädchen abgepflückt
und an dem Busen matt gedrückt
ach nur ein kleines Weilchen.
Ach, aber ach, das Mädchen kam
und nicht in Acht das Veilchen nahm
zertrat das arme Veilchen.......
Wir dürfen uns schon wissen als jene, die das alles, was um uns herum ist, bewusst aufnehmen mit Augen
und Ohren und dem Herzen. Die ganze Natur ist Wegzeichen unsers Schöpfers, Wegzeichen Gottes, gewissermaßen
ein Gleichnis für all das, was uns auch untereinander passiert, und miteinander passiert und was sich da
immer wieder ereignet.
Es sind nicht unbedingt nur die großen Dinge, die uns bewegen und die uns voranbringen und die uns jubeln
lassen oder die uns kaputtmachen, es sind vielmehr, vielmehr und alltäglich die kleinen Dinge, die an
unserm Weg stehen und die wir auch beachten sollen - dürfen - müssen, und die uns dann auch das Leben
erschließen.
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