Dienstag, 5.10.1999 -
Von Cizur Menor (Pamplona) nach Puente la Reina
Mit Reginas spontanem Ausruf, „Ihr Kinner und ihr Leit, dass wird jo noch richtich scheen“ begrüßt uns
die Sonne zur zweiten Hälfte unserer heutigen Tagesetappe. Sie blieb unser Begleiter bis zum späten Abend.
Am Morgen waren wir in Pamplona zu unserer 3. Etappe, diesmal über 19 km auf dem Camino, aufgebrochen. Froh,
dem Großstadtgetöse zu entrinnen und wieder in die Spuren der Jakobspilger einzutreten, machen wir uns nach
kurzer Autopassage in Cizur Menor auf den Weg nach Puente la Reina. Toni und Beatrix besorgen für heute einen
Leihwagen, nachdem Tonis Gefährt mitten im Verkehrsgetümmel von Pamplona seinen Geist (hoffentlich nur
vorübergehend) aufgegeben hat. An einer vorher vereinbarten Stelle sollen sie wieder zu uns stoßen. Nach
kurzem Anstieg sehen wir am Horizont schon die Kammlinie der Sierra del Perdon, deren höchster Punkt, der
Monte Perdon immerhin über 1000 Meter hoch ist. Erst beim zweiten Hinsehen entdecken wir die über 100
Windräder, die zur Stromerzeugung auf dem Höhenkamm installiert sind. Es sollte aber noch über 2 Stunden
dauern, bis wir in ca. 800 Metern Höhe unmittelbar zwischen den Windrädern den Pass überqueren. Hinter
uns Pamplona mit den Ausläufern der Pyrenäen, vor uns die weite Ebene nach Puente la Reina mit Wiesen,
Äckern und fernen Hügelketten. Das war unser Weg, der Camino.
Unterhalb des Passes machen wir unsere Mittagsrast, zwischen Steinen und Geröll. Aber wenigstens
windgeschützt, denn Wind hatten wir während des mehrstündigen Anstieges und auf der Passhöhe schon
genug. Das langsame Tempo des Anstieges gibt uns aber auch die Gelegenheit, weitere Jakobspilger
kennen zu lernen. Etwa den Mexikaner oder den Brasilianer, denen wir in den nächsten Tagen noch
häufiger auf dem Weg begegnen sollen. Oder die reizende Geneviève aus Nantes, die uns immer einige
Stunden am Tagesziel voraus war. Kein Wunder, wenn man schon vor 6 Uhr am Morgen wieder auf dem
Camino ist. Ich habe auf dem letzten Teilstück des Anstieges zur Passhöhe einen jungen Schweizer
getroffen, der Mitte August in Fribourg in der Schweiz seinen Weg noch Santiago begann. Bis Weihnachten
will er wieder zu Hause sein. Und alles zu Fuß, alle Achtung.
Nach dem Rosenkranzgebet holt uns die Wirklichkeit jäh ein. Per Handy erhalten wir die Nachricht,
dass Karolins Schwiegermutter plötzlich verstorben ist. Am nächsten Tag fliegt Karolin nach Hause.
Ein trauriger Abschied vom diesjährigen Camino. Still und nachdenklich verlaufen die nächsten Kilometer
nach Obanos, dem letzten Ort vor Puente la Reina. Während der Rast an der verschlossenen Kirche
überrascht uns Beatrix mit der Nachricht, dass sie den Pastor angetroffen hat und er gleich mit dem
Schlüssel kommt. Voller Stolz zeigt er uns seine Kirche, hervorragend gedolmetscht von Beatrix. Nachdem
wir uns mit einigen Liedern bedankt haben, verschwand er in der Sakristei, um gleich mit einem silbernen
Schädelreliquiar des Wilhelm (Guillermo) von Aquitanien wiederzukommen. Das Schädelreliquiar spielt
die zentrale Rolle in einem Mysterienspiel um das hochadelige Geschwisterpaar Felicia und Guillerrmo,
das im Sommer vor der mittelalterlichen Dorfkulisse aufgeführt wird.
Auf dem Heimweg von Compostela hatte sich die junge Frau entschlossen, Hofleben und Heirat zu entsagen,
um in den Bergen Navarras ein asketisches, gottgefälliges Leben zu führen. Bei dem Versuch, sie gewaltsam
daran zu hindern, erschlug ihr Bruder Wilhelm von Aquitanien sie ungewollt. Zur Abbüßung seiner Freveltat
schickte ihn der Papst zum Apostelgrab nach Compostela. Doch Wilhelm genügte das nicht als Reue. Als
Einsiedler zog er sich auf einen Berg beim Dorf Obanos zurück.
Nach einem frommen, an Wundern reichen Leben verehrt man ihn ebenso wie seine Schwester als Schutzheiligen
dieser Gegend. Beim Jahresfest in der Woche nach Ostern werden Wein und Wasser in sein silbernes
Schädelreliquiar gegossen, dessen Berührung schon zu vielen Wunderheilungen geführt haben soll.
Nach der Belegung des Hotels machen wir uns auf den Weg zur Ermita de Eunate, einer romanischen Basilika
aus dem 12. Jahrhundert. Der vollendet gegliederte Bau mit achteckigem Grundriss ist von einem offenen
Arkadengang umgeben. Das diffuse Licht im Inneren animiert zu einem Laudate dominum, das so wunderbar
klingt, dass man nicht mehr aufhören will. Ein zauberhafter Abstecher vom Jakobsweg.
Da in Spanien das Abendessen nie vor 21.00 Uhr serviert wird, bleibt noch Zeit für einen Spaziergang
durch Puente la Reina. Durch die Rua Mayor, entlang der Kirche Santiago und wappengeschmückten
Adelshäusern (ziemlich verfallen) gelangen wir zur Brücke der Königin, die dem Ort den Namen gibt.
Auf der gewölbten Brücke aus dem 11. Jahrhundert erleben wir einen herrlichen Sonnenuntergang. Ein
weiterer Jakobstag neigt sich seinem Ende zu. Ein Tag, bei dem Freude und Leid so dicht wie kaum an
einem anderen Tag zusammen liegen.
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