Gedanken auf dem Jakobsweg

Landschaft
– am Westhang der Sierra del Perdón

Jeder Aufbruch ist anders, auch heute Morgen wieder. Das Wort Aufbruch vereinigt viele Möglichkeiten, viele Situationen einfach in sich; jede ist anders und für jeden ist der Aufbruch an jedem Morgen anders. Und auch der Rückblick ist jeden Tag anders. Als wir gestern zurückgeschaut haben, als wir heute zurückgeschaut haben. Gestern war es nicht immer so einfach, als wir durch den Wald gingen, heute sind wir durch die offene Landschaft gegangen, und da hat sich dieser Rückblick garadezu aufgedrängt, durch eine offene, weite Landschaft, die uns anspricht, und die eine Botschaft in sich hat, die gewachsen ist in Jahrmillionen, Schicht auf Schicht, die sich verworfen hat in gewaltigen Erdbeben vor Menschenalter, Alluvium, Dilluvium, aufgebaut, abgebaut, in den Tälern, in den Kesseln, in den Sanken. Als wir durch die Alpen gingen hab ich manchmal gesagt: wie muss das hier gerauscht haben, als diese Schluchten entstanden sind. Welch unendlich lange Zeiträume waren nötig, um die Landschaft zu formen; in Menschenaltern gar nicht mehr zu messen. Und dann ist doch der Mensch gekommen und hat die Landschaft verändert; zum Teil. Wiesen und Äcker und Bäume gepflanzt, Weinberge angelegt und Wege gebaut, und große Windräder errichtet; all das gehört heute zur Landschaft. Und wir gehen hindurch; an Bäumen und Büschen vorbei, über Wiesen, an Sträuchern vorbei, an Blumen vorbei, eine unendliche Landschaft, wir haben die Hügel eben gesehen in der Ferne, wir sehen hier die Ketten in der Ferne, wir schauen zurück: da waren wir gestern, wir schauen nach vorne: da kommen wir in ein paar Stunden hin, da werden wir morgen sein, und es scheint, dass auch die Landschaft etwas mit uns macht; dass Sie uns selbst aufräumt bei gutem Wetter, dass sie uns das Staunen geradezu - aufzwingt ist nicht richtig gesagt, aber - herausreißt, dass keiner mehr an sich halten kann, dass einfach jeder sich Luft machen muss ob soviel Großartigkeit und Weite. Man weiß dann zum Schluss garnicht mehr, sind es jetzt Wolken, die da aufziehen in der Ferne oder ist es eine neue Hügelkette. Wir gehn unsern Weg durch diese Landschaft. Auch das ist wieder ein Bild für das Leben: Wir gehen nicht irgendwo, wir stehen mit beiden Füßen auf der Erde und wir nehmen das, was um uns ist, in uns auf, und wir helfen auch dort, wo es möglich ist, zu gestalten; jeder an seinem Platz, jeder nach seiner Kraft, aber niemand allein.

Wir dürfen uns heute riesig freuen über diese schöne, weite, offene, bunte Landschaft, in der die Erde uns ihr Inneres nach außen zeigt, in den braunen, in den hellen, in den bunten Flecken des Bodens, wie die Schichten verlaufen und wie sie so an die Oberflächen treten; manchmal auch in den Felsadern, wie wir es gestern gesehen haben bei dem Durchstich der Straße; oder wenn wir an einem Steinbruch vorbeigehen. Augen haben für das, was um uns herum ist. Heute Thema Landschaft. Es war auch gestern, es war auch vorgestern, aber heute thematisieren wir es; wir werden auch morgen wieder Landschaft haben, aber heute ist es unser Thema, dass wir uns ganz besonders darauf einstellen.

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