Gedanken auf dem Jakobsweg

Motivationen
- in der Kirche von Santo Domingo

Im fünften Jahr sind wir unterwegs auf dem Jakobsweg. Vor uns sind Menschen seit nahezu zwölfhundert Jahren auf diesen Routen unterwegs, alle zu dem gleichen Ziel, und so dürfen wir uns einfach auch mal wieder die Frage stellen: „Warum bin ich unterwegs?“ Motivationen ändern sich; Motivationen sind verschieden. Vielleicht waren früher die Menschen unterwegs, um die Christen in Nordspanien zu stärken, sie erleben zu lassen: Wir in Europa, in Frankreich, in Deutschland, in den Niederlanden, in England stehen hinter euch, wir schließen euch in unser Gebet ein, wir sind alle eine große Gemeinschaft. Vielleicht waren sie unterwegs als Sühne, vielleicht waren sie unterwegs im Nachfolgegedanken. Es gibt sicher sehr, sehr verschiedene Motivationen, die Menschen auf den Jakobsweg gezogen haben; die Menschen auf dem Jakobsweg nach Compostela geführt haben; sicher nicht nur eine einzige Motivation, und wer aufbricht, wie wir es tun, vor fünf Jahren, auch dort kann sich die Motivation ändern. Das muss nicht die gleiche bleiben, die am Anfang war. Bei mir war es ein Stück Neugier, so sage ich es ganz einfach einmal, die mich im ersten Jahr dahin geführt hat. Wie geht das, Jakobsweg gehen, was macht der Weg mit mir, was gibt es dort zu sehen, zu erleben, zu erfahren? Mittlerweile hat sich eine ganze Menge daran geändert. Die Neugier in dieser Hinsicht ist mittlerweile sehr weit zurückgetreten. Was treibt mich, was zieht mich auf dem Jakobsweg? Der Brasilianer sagte vor ein paar Tagen, wandern sei gesund, also wolle er sich beweisen, dass er noch gesund sei und dass er noch diesen Weg gehen könne. Andere gehen in Anliegen ihrer Familien, ihrer Freunde, ihrer Pfarrgemeinden. Es ist ein langer Weg, der Jakobsweg. Aber es gibt auch viele andere lange Wege. Wanderwege durch die Alpen; Wanderwege quer durch Frankreich, quer durch Europa, und es gibt immer Menschen, die auf solchen Wegen unterwegs sind. Was unterscheidet den Jakobsweg von den andern Wanderwegen, für mich? Worauf kommt es mir auf dem Jakobsweg an? Was werde ich am Wochenende mit nach Hause nehmen und für die nächsten Wochen und Monate und Jahre vom Jakobsweg bei mir haben? Was werde ich vom Jakobsweg meinen Freunden und Bekannten weitergeben können? Was spricht mich auf dem Jakobsweg an? Der Weg? Die Zeit? Die Landschaft? Das Wetter? Die Kirchen? Die Weggefährten? Die „zufälligen“ Begegnungen? Die Bausubstanz der Ortschaften und Städte? Die Brücken? Die Pflanzen? Die Steine? Die Ruinen? Es ist unendlich viel; wo ist die Mitte auf dem Jakobsweg für mich? Nicht die geografische. Was bleibt mir auf dem Jakobsweg wichtig, oder ist neu wichtig geworden?

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