Gedanken auf dem Jakobsweg
Rückblick
- über dem Tal des Rio Arga bei Zuriain
Gestern Morgen hatten wir Aufbruch, heute Morgen haben wir schon den dritten oder vierten Aufbruch,
und wir stellen fest, jeder Aufbruch ist anders. Jeder Aufbruch ist von neuem spannend, weil der Weg,
der vor uns liegt, jeweils ein anderer ist. Und wir gehen den Weg immer nach vorne, und doch schauen
wir immer auch zurück. Wir schauen jetzt im fünften Jahr zurück; vier große Etappen liegen bereits hinter
uns; und viele Orte liegen hinter uns, an die wir zurückdenken, und wenn wir miteinander sprechen kommen
sie immer wieder ins Bewusstsein: Moissac und Figeac, und Montcuq, und Saugues, und so weiter, und dann
kommen ganz bestimmte Dinge in uns hoch, Erinnerungen, das von innen kommt dann wieder nach außen, ins
Bewusstsein, in den Mund, in die Sprache, in das Wort. Wir schauen zurück gestern auf eine riesige Etappe
mit vielen schwierigen Wegstrecken; wir waren gestern Abend alle ziemlich kaputt. Nach vorne gehen wir
weiter, nach rückwärts haben wir unsere Erinnerung, unser Leben, unser Verstehen. Das ist das Gepäck,
das wir mitnehmen, unsere Erfahrung, unser Rückblick, das, was uns geprägt hat, was uns müde gemacht hat
und was uns froh gemacht hat; das gibt uns Mut, auch weiter zu gehen. Nach vorne gehen wir, nach rückwärts
verstehen wir, erinnern wir uns; aus der Hoffnung leben wir, und die Erfahrung treibt uns. Man kann es auch
umgekehrt sagen: beides stimmt.
Die Ziele, die wir vor uns haben gehen wir, weil wir schon viele erreicht haben. Der Weg nach Peking, sagt
ein chinesisches Sprichwort, beginnt mit dem ersten Schritt. Und dann schaut man zurück, nach vorne und
zurück: beides ist wichtig. Auch heute Morgen schauen wir schon auf eine ganze Weile zurück, und morgen
und übermorgen wird es immer mehr. Manche von uns schauen auf 40, auf 50, auf 60 Jahre zurück. Manchmal
sagt man, ich möchte wieder 18 sein, und manche alten Leute sagen, ach wie war das in der Jugend schön,
aber ich denke, jeder Standpunkt hat seine Besonderheit, seine Einmaligkeit, und von jedem Standpunkt kann
man zurückblicken. Manches war so schön, dass es uns froh gemacht hat, dass es uns viel Mut und Auftrieb
gegeben hat, aber manches liegt auch hinter uns, von dem wir sagen: Das möchte ich nicht noch einmal erleben,
dieses Wegstück möchte ich nicht noch einmal gehen...... es hat uns auch reif gemacht. Unterwegs ereignet
sich das Leben, und wir schauen immer wieder zurück um nach vorne weiterzugehen, wir schauen zurück, denn
nur in der Rückschau, nur im Erinnern, nur im Bedenken wird uns diese ganze Fülle bewusst. Und das ist
schließlich etwas von dem, was uns immer wieder treibt, weil wir zurückschauen, und weil das so großartig
war, und weil das ein so tiefes Erlebnis in unserem Leben war, dass wir sagen: Ich möchte wieder gehen,
ich möchte noch einmal aufbrechen. Man darf nicht nur an das Ziel denken, das vor einem liegt, man muss
auch zurückblicken auf das, was man bereits geschafft hat, auf das, was man bereits gegangen ist, was man
bereits erlebt hat, denn von dort her kommt auch die Kraft, weiterzugehen.
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