Mittwoch, 4.10.2000 - Von Carrión de los Condes nach Ledigos

"..Wenn i heit geplant hätt, dann däde jetzt 3 Audos do stehe"

Es ist nachmittags viertel vor fünf und Wolfgang hat mal wieder zugeschlagen. Wir sitzen auf einem Rastplatz am Rande der N 120, ein langer heißer Tag liegt hinter uns und irgendwo hinter der nächsten Straßenbiegung müsste unser heutiges Etappenziel, der kleine Ort Ledigos schon zu erkennen sein. Und dabei hat alles genau so angefangen, wie jeden Tag. Noch im Dunkel der endenden Nacht brechen Manfred und ich mit 2 Autos zum heutigen Etappenziel auf. Nach halbstündiger Fahrt haben wir den kleinen Ort Ledigos erreicht und der morgens gewonnene Eindruck sollte sich nachmittags bestätigen. Auch hier hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Neben gut erhaltenen und sauber hergerichteten Häusern, teilweise noch mit Lehmverputz, sind viele Häuser verlassen.

Die Nacht haben wir in Carrión de los Condes in dem zu einem Hotel umgebauten monumentalen Kloster San Zoilo verbracht. Eindrucksvoll der Kreuzgang und die ehemalige Klosterkirche, in der wir am Morgen eine Meditation mit dem Thema Füße, in der Mitte unserer Wanderschaft halten. Aber irgendwann müssen wir das Halbdunkel der Brunnen in der Meseta Kirche verlassen und unseren heutigen Weg aufnehmen. Ein Stück gehen wir neben der N 120, um dann nach rechts auf den alten Römerweg abzubiegen. Der Weg führt uns an einem weißen, niedrigen Quellhäuschen, der Fuente del Hospitalejo vorbei. Gelegenheit zum Wasserfassen, aber auch zum Zähneputzen. Toni hat das Putzmittel gewechselt und lässt uns die Marke erraten. Nach einigen Fehlversuchen können wir uns auf einen zarten Kirsch einigen.

Je höher die Sonne steigt, desto wärmer wird es. Der Weg ist staubig und von wenigen kleineren Schlenkern abgesehen, geht es immer geradeaus. Bäume am Wegesrand, die Schatten spenden sind Mangelware. Viele der neu gepflanzten Bäume sind vertrocknet. Von Horizont zu Horizont abgeerntete Felder. Umso willkommener ist daher die kleine Buschgruppe an einer Brücke, die über einen Bewässerungskanal führt. Aber auch hier ist von Wasser kaum etwas zu sehen. Dafür schreckt uns ein plötzliches Prasseln auf, das schnell als meterhohe Feuerwand erkannt wird. Nicht weit von uns haben Bauern das dürre, auf dem Feld liegende Stroh angezündet. Eine Art der Ackerbestellung, die wir schon häufig auf unserem Weg gesehen haben.

Rast in der Meseta Nach der Mittagspause wird die Landschaft freundlicher. Einen kleinen Pass überqueren wir in waldähnlichem Gelände. Aber noch ist unser Etappenziel in weiter Ferne. Dafür sind am Horizont in Richtung Norden die Ausläufer des kantabrischen Hochgebirges zu erkennen. Toni, Regina, Brigitte und Manfred haben hörbar die zweite Luft bekommen. Sie versuchen es aus voller Kehle mit Wanderliedern. Auch eine Art des Wegeverkürzens. Da die Vögel noch in der Nachmittagssonne dösen, sind von dort keine Einwände zu hören. Zwischen Gestrüpp sehen wir schon die N 120 und den oben angesprochenen Rastplatz. Es tut gut, die Meseta Füße ausstrecken zu können und einfach die Nachmittagssonne zu genießen. Irgendwie haben wir es uns doch verdient. Ein langer Genuss ist aber nicht beschert, denn jeder Tag hat ein Ziel und unser heutiges Ziel heißt Ledigos; wir haben es als Etappenort gewählt, da 23 km Jakobsweg am Tag genug sind und es bis Sahagún, unserem Übernachtungsort, noch ca. 7 km sind.

Ein fahrender Händler mit einem Wagen voller Obst, Gemüse und eingelegten Oliven verkürzt die Wartezeit auf Toni, Walter und Manfred, die unsere Autos von Carrión de los Condes nachziehen. Und dann holt uns zum wiederholten Male der Weg ein, nicht nur als Markierung für den Pilger, sondern auch als Ort der Begegnung. In Frómista noch als unverschämt laut empfunden, in Carrión im Abendgottesdienst in der Kirche Santa Maria del Camino kaum wahrgenommen, treffen wir in der Pilgerherberge eine brasilianische Pilgergruppe junger Leute, die uns mit lautem Hallo begrüßen. Ihrer Bitte, die in Carrión gesungenen Taizé-Lieder noch einmal zu singen, kommen wir gerne nach. Eine Gänsehaut im mit frisch gewaschener Wäsche geflaggten Innenhof ist nicht zu vermeiden. Wie man sich doch von Äußerlichkeiten, wie Lärm aus Lebensfreude, blenden lassen kann. Heute gehört unsere Sympathie jedenfalls diesen Pilgern.
Begegnung in Ledigos
Und dann sind die Autos da und nach 20 Minuten ist unser Hotel in Sahagún erreicht. Es liegt im Zentrum des Städtchens, gegenüber der Pilgerherberge. Nachdem wir uns frisch gemacht haben, ist ein Rundgang durch das abendliche Sahagún angesagt. Überall treffen wir auf steinerne Zeugen einer wechselvollen Geschichte. Im 11. Jahrhundert wurde hier das bedeutendste Cluniazenserkloster Spaniens errichtet. Reste der einstmals riesigen Klosteranlage sind in der ganzen Stadt zu finden. Überall entdecken wir den Einfluss islamischer Kultur auf die christlichen Sakralbauten. Errichtet von arabischen Architekten und Handwerkern, die im Dienste der Christen am Kirchenbau mitwirkten. Nach diesen Mudéjaren ist der Stil benannt, der die großen Kirchen der Stadt auszeichnet. Als Baumaterial wurden Ziegeln verwendet, da es in der Gegend keine Steinbrüche gibt. Die Backsteinkirche San Tirso aus dem 12. Jahrhundert beeindruckt uns mit ihrem wuchtigen viereckigen Turm und den dreistöckigen Arkaden. Unweit davon finden wir das vermeintliche Stadttor, das sich beim Nachschlagen im Pilgerführer als Überrest der Fassade des Benediktinerklosters San Facundo herausstellt. Dass Kultur auch hungrig machen kann, merken wir an unseren knurrenden Magen. So lassen wir uns nach 21 Uhr das nicht gerade üppige Abendessen dennoch schmecken.

Gert

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