Gedanken auf dem Jakobsweg

Der Weg
- in der Pfarrkirche San Juan in Hospital de Orbigo

Wir gehen unseren Weg seit 6 Jahren. Es sind schon etliche Hundert Kilometer, seit wir in Le Puy angefangen haben. Man sagt: "Der Weg ist das Ziel", aber ich kann mich nicht damit anfreunden. Ich denke besser es heißt: "Der Weg führt zum Ziel." Wir sind auf einem Weg, den die Menschen schon mehr als Tausend Jahre gehen. Tausende, Abertausende sind vor uns auf diesem Weg gegangen. Ungefähr; wie wir heute gehen; jedenfalls in der Richtung. Der Weg hat sie mitgenommen. Der Weg lag da, und sie haben Ausschau gehalten. Der Weg blieb liegen und sie gingen weiter. Der Weg hat sie bewegt. Es ist schon überlegenswert, wie viele unserer Worte diese Silbe 'Weg' in sich haben. Immer meinen sie, dass etwas nicht dort bleibt, wo es ist. So nimmt auch der Weg uns mit. Der Weg verbindet die Menschen. Es heißt, dass die Völker Europas sich auf dem Jakobsweg getroffen hätten, sich dort begegnet seien, dass dort Europa zusammengewachsen sei. Das ist ein wenig pathetisch, aber einiges davon haben wir auch schon mitbekommen. Der Weg verbindet; über kurze Distanzen; von einem Ort zum andern; über unendlich weite Distanz. So führt er auch uns, von zu Hause, mit dem Auto zunächst jeweils zu unserem Ausgangspunkt und wieder zurück, aber, der Fußweg, das ist der, den wir Schritt für Schritt gehen. Der uns Schritt für Schritt die Landschaft öffnet, der uns Städte öffnet, der uns hinführt zu Kirchen; der uns die Vergangenheit sogar erschließt, wie diese alte Brücke, die wir eben überquert haben, wie so manche Ruine, die wir am Weg gefunden haben. Der Weg, der uns mit der Vergangenheit vertraut macht. Manchmal sind es breite Wege, Autowege, wie heute Morgen. Manchmal sind sie frisch angelegt, eigens für uns. Manchmal sind es Feldwege, machmal sind es nur Pfade, die wir gehen, holprig und stolprig, aber immer ist es ein Weg, der nach vorne weist. Wir erinnern uns an manche Wegstücke, die wir gegangen sind; sie sind innen in uns. Wir holen sie nach außen, um sie wieder zurückzutun. Sorgfältig. Bis sie wieder nach außen kommen, wenn wir sie wieder brauchen. Der Weg nimmt uns mit sich; der Weg führt uns zum Ziel, nicht anders kommen wir dahin, nicht anders, als dass wir unseren Weg gehen.

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