Montag, 9.10.2000 -
Von Villadangos nach Astorga
Der Tag beginnt mit Türproblemen im Hotel: Walter, Manfred und ich: Lass mich rein, lass mich raus! bis der
Drehknopf an der Haustüre gefunden ist. Bereits gestern Abend habe ich mit Manfred ein Auto nach Astorga
gebracht. Manfred hat erst noch eine Ehrenrunde durch Astorga gedreht, dann haben wir den Vectra auf einem
Parkplatz vor der alten Stadtmauer abgestellt. Kaffee und Frühstück gibt es im Restaurant nebenan. Manfred
philosophiert über "Vögel, die früh singen, über Ehepaare, die erst merken was ihnen fehlt, wenn sie über
einander herfallen". Er klärt auch über Butter und Margarine auf, ja er weiß zu allen Themen unheimlich viel!
Derweil erörtert Regina alte Geschichten von Kannibalismus unter Tieren. Brigitte fragt nach dem Wetter, nach
Regen, Wind und Wärme: 18°. 8.30 Uhr: Es ist soweit! fast: auf Nachfrage von Beatrix meldet Helga ihr
verschollenes Kissen unter der Matratze. Auch Edgar hatte sein Kissen in León unter der Matratze versteckt.
Warum verkriechen die sich nur so stereo?
Karin kommentiert: Eine Veranda ist auch garniert. Wolfgang setzt sich in Marsch und an die Spitze: Heute
Morgen gehen wir voll Rohr!
Die 2 km vom Hotel bis zum Dorf sind schnell geschafft. Da drüben noch mal die alte Kirche, die der Pastor
gestern Nachmittag so begeistert und lang im Detail erklärt hatte. Dann führt unsere Route neben der Straße
her. Wir überqueren ein paar Wässerchen, Kanäle, Bäche. Nebel liegt über der Landschaft. Links neben uns eine
Beton-Bewässerungsrinne. Voll Spinnweben sind die Heckenrosensträucher mit den roten Hagebutten. Die Spinnweben
sind voll Tau. Wir passieren San Martin del Camino auf einem Schleichweg und kommen hinter dem Ort wieder auf
die Route. Die Straße N 120 lebt: in 10 min. zähle ich 162 Autos klein und groß in beiden Richtungen!
Maisfelder zu beiden Seiten warten auf die Erntemaschinen. Die Pilgerschar zieht sich auseinander: gespenstische
Nebelgestalten. Die Kopfgruppe mit Bernhard, Gert, Beatrix, Manfred und meiner Wenigkeit entwickelt mit
Wanderliedern einen sogenannten 6er Schritt. Und weil von den wenigen Liedern jeweils nur die erste Strophe
bekannt ist, klingt es wie eine hängen gebliebene Platte.
Dann endlich nach ca. 9 km rechts ab über Feldwege, vorbei an einem Stall, vorbei an Wiesen nach Puente de
Orbigo. Von weitem zu erkennen: Kirchturm mit 5 Storchennestern, und im Spitzennest steht ein Storch. Es
klickt aus allen Richtungen. Natürlich ist die kleine Kirche geschlossen, dafür taucht ein Brotauto auf.
Einige überfallen es. Hinter der Kirche der Rio Orbigo mit der Brücke Paso honroso: von den Römern erbaut,
kämpften hier Sueben und Westgoten und später die Truppen von Alfons III. gegen die Mauren. Den Namen aber
erhielt sie von dem Ritter, Don Suero de Quinones, der hier in 30 Tagen 300 Lanzen brach: So hoffte er die
Dame seines Herzens als größter und bekanntester Held zu gewinnen. Dem hl. Jakobus aber legte er eine goldene
Kette nach all den Siegen um, die noch heute da ist.
Natürlich gibt es hier viele Paparazzi. Zwei italienische Radfahrer kommen uns entgegen. Auf der anderen Seite
in Hospital de Orbigo versorgen sich einige Pilger mit Proviant für den Mittag. Beatrix besorgt die Schlüssel
zur Kirche, und die Sekretärin erzählt lang und breit von ihrer Geschichte zuerst ein Hospiz der Johanniter
(Malteser) und von den vielen Kunstwerken, vor allem Santiago Matamoros über dem Altar. Überall entdecken
wir Malteserkreuze. Ich gehe mit Beatrix zur Bank: Nach langatmigen Kundenservicen vor uns, einem noch
längerem Telefonat, bekommen wir die trockene Erklärung, dass es auf die Visa-Karte kein Geld gibt: Warum?
Bankgeheimnis!!
Die Straße ist lang durch den Ort und biegt dahinter wieder rechts nach Villares de Orbigo ab. Dort angekommen,
erobern wir einige Bänke vor dem Schulhaus und mampfen unsere Vorräte zur Mittagszeit. Das erstaunt alle Kinder,
die dann schweigend und mit großen Augen an uns vorbeigehen. Eine Dame spricht uns auf französisch an.
Eine schmale Asphaltstraße führt uns nach Santibánez. Es gibt wieder Weingärten mit vielen Vogelscheuchen.
Es gibt mit Trauben gefüllte Anhänger, die versammelt auf einem Platz stehen. Das veranlasst gewisse Leute,
das Rosenkranzgebet zu unterbrechen, "um die Qualität der Trauben zu testen". Hinter dem Nest geht der Weg
in die Pampa und steigt ständig an. Er geht vorbei an Hecken, durch Krüppelholz und erinnert an die Causse
in Frankreich: viele Steine, wenig fruchtbar. Endlich ist die Höhe von 950 m auf der Sierra de la Paloma
erreicht, ein flaches Hochland. Der Wind bläst. Er reizt unsere Vorläufer, die sich weit absetzen. Ob sie
Astorga Non-Stop erreichen wollen? Endlich gelingt ein Halt und eine knappe Pause von 15 Minuten. Wir sehen
bereits auf Astorga in der Ferne.
Wir passieren das Kreuz von Santo Toribio, wo ein Bischof von Astorga den
"Staub von seinen Schuhen" ob der vielen Verleumdungen abgeschüttelt hatte. Dann geht es abwärts. Wir passieren
San Justo de la Vega. Eine alte Dame im pinkfarbenen Negligé kommt uns entgegen. Trixi übersetzt, was
sie uns sagt: "Der Wind kommt aus Galizien. Er bringt den Pilgern Regen." Aber heute noch nicht. Wir überqueren
den Rio Tuerto. Maisfelder, in denen ein Mähdrescher geht. Dennoch ein idealer Ort für Trixi, die schon "so
lange muss" und sich nun endlich Erleichterung verschaffen kann. Wir betreten Astorga über die Hauptstraße,
vorbei am geparkten Vectra und finden auch bald unser Hotel Gaudi gegenüber dem ehemaligen Bischofspalast
von Gaudi, neben der Kathedrale. Nach kurzer Rast und Zimmerbezug suchen wir die Kathedrale auf, in der eine
große Ausstellung ist, so dass von der Architektur wenig zu sehen ist. Dann erfolgt ein Stadtbummel bis zur
Franziskanerkirche. Die Füße tun mir weh. Einige versorgen sich mit Mantequada. Beim Abendessen planen wir
für den nächsten Tag.
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