Gedanken auf dem Jakobsweg
Rucksack
- bei der Ermita Virgen del Puente in der Nähe von Sahagun
Als wir uns heute Morgen für den Tag gerüstet haben, da hieß es so allgemein, ach, es sind ja nur sieben
Kilometer, bis wir heute mittag wieder hier sind, wir brauchen eigentlich garnichts mitzunehmen. Der
sagt: "Ich hol aber meinen Rucksack trotzdem mit." Und als wir nachher an die Autos kamen, hatte jeder
seinen Rucksack. Es scheint schon fast so, als ob der Rucksack zu uns gehört. Ich hab dann auch scherzeshalber
mal so gefragt, "was nehmen wir denn heute für ein Thema", und die Regina hatte eine gute Nase, sie sagte
gleich: "Rucksack können wir doch mal nehmen." Ich hatte es schon in meinem Busen beschlossen, die Regina
hat es gleich geraten, hat es mir an den Augen abgesehen. Ja, der Rucksack gehört zu unserem Leben, auf
unserer Wanderschaft, wie die Füße dazugehören und wie die Spuren dazugehören, die wir schauen, die weit
in die Vergangenheit reichen, die uns nach vorne weisen, auf denen wir denen folgen, die schon seit
Jahrhunderten diesen Spuren gefolgt sind, so folgen wir ihnen, und so gehört auch der Rucksack zu unserer
Wanderschaft wie die Rucksäcke in der Vergangenheit zu den Menschen gehört haben, die diesen Weg gegangen
sind und wie alle Wanderer sie haben, die ihn gehen; der Rucksack gehört dazu. Wir packen ihn nicht jeden
Morgen ganz neu, aber wir überprüfen ihn immer wieder: was ist drin, was brauche ich. Das, was für den Tag
die Not wendet, das Notwendige, das packen wir ein, manchmal vielleicht auch ein bisschen mehr. Manchmal
ärgern wir uns auch; "ach hätte ich es doch mitgenommen, ich hab es zu Haus liegen lassen." Das Notwendige
ist im Rucksack drin, der Rucksack ist ein Stück von unserer Wanderschaft, er hält uns für den Tag am Leben,
mit der Wasserflasche, mit einem Stück Brot, Obst, Schokolade und was auch immer wir da brauchen, mit dem
Regenumhang, dem Schirm, wenn es mal nötig ist. Keiner von uns ist Reisender ohne Gepäck. Wir alle haben
unser Gepäck dabei. Auch das Gepäck haben wir dabei, das wir zu Hause gelassen haben. Mit unserm Rucksack
tragen wir auch die mit, die zu Hause geblieben sind. Manche haben gesagt: "Wenn du nach Santiago gehst,
denk an mich." Wir haben sicher schon in den vergangenen Tagen an sie gedacht, wenn wir allein dahergetrottet
sind, wenn wir im Gottesdienst waren, wenn wir den Rosenkranz gebetet haben. Wir haben viel Gepäck, das wir
nicht dabei haben, das wir nur in Gedanken, im Herzen dabei haben; die andern Rucksäcke, für die der Rucksack
auf unserm Rücken ein Zeichen, ein Symbol ist. Wir gehen unsern Weg und haben sie dabei. Wir gehen unseren
Weg für sie. Der Rucksack trägt sich nicht allein, der Rucksack will getragen sein. Er bewegt sich nicht
allein. So viele andere möchten mitgenommen sein, für die gehen wir stellvertretend. Für manche die krank
sind und nicht können, für manche die müde sind und nicht wollen, für manche die festgehalten und gebunden
sind und nicht loskönnen. Wir nehmen sie alle mit in unserem Rucksack, in unseren Gedanken. Wir gehen für
sie unsern Weg. Vielleicht gehen wir den Weg heute für diesen, morgen für jenen, heute in diesem Anliegen,
morgen in jenem Anliegen, die man in einem ganzen Tag in den Gedanken, in der Intention, im Kopf, auf dem
Rücken dabei hat, die man einen ganzen Tag trägt, auf dem Jakobsweg hin nach Santiago, dort wo die Menschen
schon seit Jahrhunderten hin unterwegs waren, mit ihren Rucksäcken, mit ihren Anliegen, mit ihren Sorgen,
mit ihren Freuden, mit ihren Hoffnungen, mit all dem. Das ist unser Rucksack, das ist unser Weg; gestern,
heute, morgen, übermorgen.
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