Gedanken auf dem Jakobsweg

Schritte
- an einem Teich zwischen El Burgo Raneros und Mansillas de las Mulas

Gestern hatten wir über den Rucksack nachgedacht. Vorgestern, glaube ich, über die Füße. Und einmal haben wir Spurensuche betrieben. Heute, könnte ich mir vorstellen, dass wir einmal über Schritte nachdenken.

Jeder hat seinen Schritt; der eine macht kleine Schritte, häufig schneller; der andere hat große Schritte, bisschen langsamer; leise Schritte, feste Schritte; wir kennen manchmal sogar Leute an ihrem Schritt. Meine Mutter sagte, wenn ich sie im Krankenhaus besuchte, "ich hab' dich kommen hören, ich hab' dich an deinem Schritt erkannt." Wir haben sie zum Teil geerbt, unsere Schritte, von unseren Vorderen, von unseren Eltern; wir haben sie uns zum Teil angewöhnt. Schritte sagen sogar etwas über unsern Charakter. Wie wir gehen, wie wir unsere Füße stellen, wie wir unsere Schritte machen. Der aufrechte Gang. Jeder von uns hat seinen Schritt, und keiner sollte versuchen, dem andern seinen Schritt abzugewöhnen, oder ihn verändern zu wollen, oder meinen, er müsse sich seinem Schritt angleichen. Manche eilen schnell dahin und sind auch schnell müde, andere gehen ihren Schritt, ganz konstant und beständig, im Rhythmus und Gleichschritt. Schritte sagen etwas über unser Leben und wir sollten uns gegenseitig unsere Schritte belassen, auch dann, wenn vielleicht die Krise kommt, wie sie in jedem Jahr über jeden von uns kommt, wenn wir unterwegs sind. Dass wir nicht meinen, wir müssten verändern. Verändern kann nur jeder sich selbst und nach dem Maß wie das Echo seines Verhaltens von den andern zurückkommt. Deshalb kann es nicht nur heißen: "laufen, laufen, laufen", sondern die Schritte müssen auch bedächtig sein. Wir müssen auch auf unsere Schritte, auf unser Tun achten, wie es bei andern ankommt, wie das Echo von andern zurückkommt. Und dann können wir uns nur selber verändern; unsere Schritte darauf einstellen. Jeder kann nur selbst seine Schritte einstellen. Keiner kann dem andern seinen Schritt aufzwingen. Wenn dann die Krise über uns kommt, dann sollten wir wissen: Aha, es ist soweit. Ich bin an einer empfindlichen Stelle getroffen, aber es ist meine Sache, dass ich getroffen bin, nicht die der andern.

Schritte haben auch etwas mit unserer geistigen Einstellung zu tun. Schritt für Schritt haben wir uns das Leben erobert; unsern Beruf erobert; haben wir in der Schule Fortschritte gemacht. Der Schritt ist so ein Bild für das weitergehende Leben, ein Symbol dafür. Und wenn wir in der Bibel nachlesen, dann ist nicht nur von den Wegen die Rede, sondern auf dem Weg nach Emmaus erklärt der Herr seinen verdunkelten Jüngern Schritt für Schritt den Sinn des Lebens und den Sinn des Leidens. Es geht uns alles nur schrittweise ein. Selten, dass jemand die große Erkenntnis auf einen Schlag hat. Nur Schritt für Schritt, oder 'löffelchesweise' kommen uns die Erkenntnisse, geht uns das Licht auf und der Sinn des Lebens und des Leidens, und des Miteinanders und des Füreinanders. Deshalb müssen wir mit den andern genausoviel Geduld haben, wie erwarten, dass sie mit uns Geduld haben.

Wir sind schon ein paar Millionen Schritte gegangen. Dreizehn Schritte für zehn Meter, hundertdreißig Schritte für hundern Meter, dreizehnhundert Schritte für einen Kilometer, und jetzt können wir etwa ausrechnen, wieviele es bisher gewesen sind. Millionen Schritte. Nur auf diesem Weg. Und jeder Schritt bringt uns etwas Neues. Dafür Augen behalten. Dafür geistig wach bleiben. Für das Neue, das jeder Schritt in unserm Leben bringt. Direkt, und auch im übertragenen Sinn, und in der Erkenntnis, und im Glauben, und, und, und.

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