Gedanken auf dem Jakobsweg

Die Fremde - oberhalb von Villafranca del Bierzo

Vorgestern hatten wir "sich auf den Weg machen", gestern hieß das Thema "Die Lasten des Weges tragen", heute wollen wir daran denken, dass wir in der Fremde sind. Das wird uns sofort bewusst, wenn es um die Sprache geht. Die Wörter, die wir lesen, sind uns nicht vertraut, manchmal erahnen wir aus dem Stamm vom Latein her, vom Französischen her, was es bedeutet; die Sprache, die gesprochen wird ist nur Spezialisten bekannt, unserer Beatrix; wir sind sonst schon mal ziemlich aufgeschmissen. Wir kommen in Dörfer, in Städte, in denen wir noch nie waren, es ist uns alles fremd. Wir sehen eine Landschaft, die wir noch nicht gekannt haben und bewundern sie. Und dabei denken wir oft: "Das Leben ist ein Einerlei". Ein Tag ist wie der andere. Aber wenn wir uns auf die beispielhafte Wanderung machen wie in diesen Tagen, dann geht es uns auf: Noch längst nicht ist ein Tag wie der andere. Ausland, davon kommt das deutsche Wort "Elend". Im Elend sein das heißt im Ausland sein, oder, im Ausland sein heißt im Elend sein.

Es ist uns vieles fremd. Nicht nur die Landschaft und die Sprache und die Menschen, die uns begegnen. Vieles wird uns auch vertraut, indem wir darauf zu gehen, mit offenen Augen und offenen Ohren, oder mit einem wachen Herzen. Vieles von der Fremde wird uns vertraut, indem wir uns auf die Fremde einlassen. Und trotzdem bleibt es die Fremde, wir gehen hier durch, wir kommen nicht wieder zurück, wir gehen keinen Kilometer zweimal, es ist eine einmalige Reise, so wie das Leben ist, da wir keinen einzigen Tag, keine einzige Stunde zurückrufen können. Und vieles gibt uns zu denken, weil es fremd ist, weil es ungewohnt ist, weil es neu ist. Wir erobern uns Neuland, in geistiger Weise, auch mit den Füßen. Die Fremde fordert uns heraus, und sie macht uns eigentlich in unserem festgefügten Verhalten auch ein Stück unsicher, da wir verstehen: es muss nicht alles so sein, wie wir es meinen; dass es jeden Tag ist. Das, was wir jeden Tag sehen ist nicht das einzig mögliche. Es gibt unendlich viele Variationen und Alternativen.

Die Fremde fordert uns heraus, macht uns in einem gewissen Sinn unsicher, aber macht uns auch offen und froh, macht uns größer, weiter; wir erkennen viel mehr vom Leben, als wenn wir nur zu Hause in unserem Nest sitzen bleiben. "Bleib nicht sitzen in dei'm Nest, Reisen ist das Allerbest", heißt es in einem Lied, das wir früher mal gelernt haben. Und so dürfen wir auch verstehen, dass wir auf diesem Weg in die Fremde geführt werden, dass wir uns führen lassen, dass wir ein Stück der Fremde vertrauen und sie so dann auch zu unserem Eigen machen.

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