Montag, 01.10.2001 -
Von Villafranca nach Las Herrerias
Eigentlich sollte es die Königsetappe des Jakobsweges 2001 mit Ziel La Faba werden, dann schaffte es die
morgendliche Vorfahrt nur bis Las Herrerias und am Ende waren es noch einige Kilometer weniger.
Auch im nobelsten Hotel geht die Nacht einmal zu Ende. Und so steigen wir in aller Frühe aus den Federn des
Parador de Villafranca um die zweite Tagesetappe unseres diesjährigen Jakobsweges anzugehen. Nach dem Frühstück
warten wir auf den Autodienst, denn Tonis Auto braucht ein paar Streicheleinheiten um wieder in Fahrt zu kommen.
Die Zeit bis zum Eintreffen des Reparaturdienstes nutzen wir zur Meditation und ein Teil der Truppe zum
anschließenden "Zähneputzen".
Mit einer Stunde Verspätung nehmen wir unseren Weg auf. Über eine Treppe steigen wir zur Calle del Aqua hinab,
die zur Brücke über den Rio Burbia führt. Eine moderne Jakobusskulptur, die irgendwie nicht so recht in das Bild
der Altstadt passt, überragt die alte Steinbrücke. Uns war sie eine kurze Orientierungspause wert, denn hinter
der Brücke entdecken wir auf der Strasse Markierungen, die auf eine Verzweigung des Jakobsweges in 2 Varianten
hinweisen. Variante 1 folgt dem alten Jakobsweg und führt entlang der Nationalstraße direkt in das Valcarcetal.
Schnell sind wir uns einig, dass diese insbesondere vom Schwerlastverkehr viel befahrene Strasse für uns nicht
in Frage kommt. Und so fällt uns die Entscheidung für die Variante 2, den Camino duro - den harten Camino - nicht
schwer, auch wenn es jetzt in die Berge geht. Vor uns liegt ein Bergrücken mit 430 Metern Höhenunterschied zur
Brücke von Villafranca, laut Wanderführer. Und so wundern wir uns auch nicht, dass es hinter den letzten Häusern
gleich zur Sache geht. Auf gerippten Betonplatten geht es steil bergauf. Der von Beatrix übersetzte Weghinweis
"Nur für Pilger, die gut gehen können" gibt uns den letzten Anstoß den Weg anzugehen. Gut eine Stunde geht es
steil am Hang bergauf, immer mit Blick westwärts auf die gegenüberliegenden Hänge und die darunter verlaufende
Nationalstraße.
Beim Anstieg kommen Erinnerungen an den Anstieg zum Cruz de Ferro im vorigen Jahr auf, der aber
wesentlich länger und auch beschwerlicher war. Aber irgendwie muss man sich doch Mut machen. Und dann ist auch
der erste Anstieg geschafft, Bianca und Karina voraus. Die Jugend macht es eben. Die anschließende Rast relativiert
manches. Einmalig Manfreds Ausspruch "Moses brauchte einen Stab um Wasser aus dem Felsen zu fördern, bei Toni
reicht das Hemd". Der Blick zurück über den Talkessel nach Villafranca lässt die Strapazen des Aufstieges schnell
vergessen. Der Weg folgt nun einem Höhenrücken mit Blick nach rechts und links auf eine bizarre Landschaft.
In der Ferne erkennt man den Neubau der Autobahn mit einigen Brücken und Viadukten über dem Talboden des Rio
Valcarce. An einer weithin sichtbaren Sendeanlage vorbei betreten wir einen Edelkastanienwald. Die zum Teil
uralten Bäume faszinieren uns und geben zu mancher Fantasie Anlass. So entdecken wir im Stamm einer riesigen
Kastanie eine Baumhöhle, die bestimmt schon vielen Pilgern als Unterschlupf bei Gewittern und anderen Naturgewalten
diente und die von Toni sofort besetzt wurde. Für den modernen Pilger ist sie eine Fotoattraktion und so klicken
munter die Kameraverschlüsse und halten die Pilgerfotos zur Erinnerung fest. Irgendwann endet der Kastanienhain
und tief unter uns ist Trabadelo zu erkennen.
Vor uns liegt ein gut einstündiger, steiler Abstieg, der im Tal
des Rio Valcarce an der Nationalstraße endet. Was für ein Unterschied zur beschaulichen Ruhe unseres bisherigen
Weges. Offensichtlich ist heute spanischer Renntag für Trucks, denn ein Lkw hinter dem anderen mit atemberaubender
Kurventechnik und ständig mit Vollgas passiert uns leicht irritierte Pilger. Zum Glück erreichen wir nach einer
halben Stunde ein Rasthaus, in dem wir den ersten Verkehrsschock verdauen können. Nach etwa einem Kilometer
verlassen wir die Nationalstraße, die hier in die Autobahn mündet und folgen dem Lauf des Rio Valcarce in ein
idyllisches Nebental. Wir passieren die Orte La Portela, Ambasmetas und Vega de Valcarce. Hinter Ruitelain steigt
der Weg wieder an, die Beine werden langsam schwer und der Pilgertross hat sich weit auseinandergezogen. Eine Bank
am Wegesrand verführt die Vorhut zur Rast. Wie sich herausstellt ein glücklicher Zufall, denn diese Bank wird -
nach dem alle eingetroffen sind - einstimmig zum Endpunkt der Tagesetappe ernannt. Für Helga und Edgar eine echte
Ruhebank, die Strapazen des Tages fordern eben ihren Tribut.
Walter und Bernhard holen das Auto, das sie am Morgen in der Nähe von Las Herrerias abgestellt haben.
Es vergehen fast 2 Stunden bis der Autotransfer abgeschlossen ist und wir im Bergdorf O Cebreiro eintreffen.
Unser Nachtquartier haben wir in 1250 Meter Höhe in der Hospederia San Geraldo aufgeschlagen. Ein üppiges
Abendmahl soll uns die nötige Bettschwere und -ruhe geben, aber das Gegenteil ist der Fall. Ist es
der Mond, der in seiner ganzen Größe über O Cebreiro strahlt, der mir das Einschlafen erschwert oder ist
es das klamm-feuchte Zimmer und Bettzeug, das die verdiente Nachtruhe nicht aufkommen lässt?
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