Gedanken auf dem Jakobsweg
Ziele - Am Flughafen von Santiago
Wie könnte anders unser Thema heute sein als: Die Ziele und das Ziel. Vor sieben Jahren haben wir von dem Ziel
gesprochen, Santiago. Wir haben damals angefangen wie es in dem chinesischen Sprichwort heißt: Der Weg nach
Peking beginnt mit dem ersten Schritt. In Le Puy. Und seither hatten wir unendlich viele Ziele. Sechs Etappenziele
dazwischen, und viele Tagesziele, die die Etappen nochmal untergliedert haben. Und dazwischen noch einmal viele
Ziele, wo wir mal Ruhe und Rast gemacht haben, da wir auf unseren Karten gekuckt haben, diese Stelle, jener Ort,
diese Kapelle, jener Brunnen, dass wir immer wieder den weiten Weg in kleinere Ziele untergliedert haben. Nur so
ist es überhaupt zu schaffen. Kein Mensch könnte sich drangeben und den Weg von Le Puy oder auch von Pamplona, von
Roncesvalles in einem Zug ohne Ruhe und Rast durchgehen. Wenn wir von solchen hören, die ihn einfach 'laufen',
schütteln wir manchmal den Kopf, weil wir längst verstanden haben, dass sich auf dem Weg eine ganze Menge ereignet,
ereignen muss; dass es nicht um Rekorde geht, sondern um Erkenntnisse. Nicht nur um den Kopf, sondern noch viel mehr
um den Bauch, um die Seele, um das Gefühl, ja um den Geist. Das Ziel und die Ziele; die Ziele und das Ziel. Es ist
nur zu erreichen, das Ziel, in vielen Zwischenzielen. In einem ständigen Aufbruch. In einem ständigen Weitergehen.
Auch wenn die Füße wehtun, auch wenn der Rücken schmerzt, auch wenn die Stirne schwitzt, auch wenn der Bauch
grummelt, auch wenn der Mund trocken ist, nur indem man weitergeht kommt man zu den Zwischenzielen und zum großen
Ziel.
Wer sich von den kleinen Bagatellen des Alltags ablenken lässt, der wird nicht weit kommen. Manche haben uns ihre
Reverenz, ihre Hochachtung im voraus erwiesen, als sie gehört haben, wir gehen nach Santiago, nach Compostela. Wir
gehen den Weg der vielen kleinen Schritte; bergauf und bergab, durch Städte und Orte, über Felder und durch Wälder.
Nur indem wir gehen, nach vorne schauen, und ab und zu auch nach rückwärts, kommen wir zum Ziel, zum großen Ziel.
Wir haben es jetzt dicht vor Augen. Es ist ein Ziel. Wir müssen es relativieren, es ist ein Ziel, zu dem wir vor
sieben Jahren aufgebrochen sind, und wir werden morgen weiterfahren, zum Cap Finisterre, und wir werden übermorgen
weiterfahren, nach Oviedo, und wir werden am Samstag Abend, so Gott will, wieder am Ziel sein, zu Hause.
Wir haben ein großes Ziel erreicht, das wir uns vor sieben Jahren vorgenommen hatten, aber das Lebensziel ist damit
noch nicht gewonnen. Es geht weiter. Manche Lebensziele haben wir schon erreicht. Häuser gebaut, Familien gegründet,
den Beruf angepackt und einiges darin bewegt, Prüfungen abgelegt; jede Menge Ziele. Je weiter wir zurückblicken, um
so mehr erkennen wir, dass die Ziele Zwischenziele waren. Wir bleiben unterwegs, auch nach Santiago, und wir suchen
neue Ziele, nach Santiago. Vielleicht Wegziele, Wanderziele, auf jeden Fall Lebensziele, Zwischenziele. Und immer
wieder müssen wir daran denken: Wofür gehe ich, wofür lebe ich, wofür plage ich mich, wofür stehe ich, wo sind meine
Ziele, die nicht nur kurzfristig sich erfüllen - oder nicht erfüllen - sondern die meinem Leben langfristig die
Richtung geben. Das Ziel ausmachen, den Sinn geben.
Santiago. Viele Tausende, Hunderttausende waren vor uns auf diesem Weg zum Ziel. Für viele ist der Weg zum Ziel
geworden. Wie mir auch gestern der Franziskaner sagte: "Der Weg ist das Ziel". Unendlich vielen Menschen ist
unterwegs, auf dem Weg, einiges aufgegangen, was ihrem Leben Profil geben sollte in der Zukunft. Manche sind
ihn in sportlicher Absicht gelaufen, um hinterher damit anzugeben. Der Weg ist das Ziel, der Camino nach Santiago.
Wir werden dort in die Kathedrale kommen, wir werden großartige Bauwerke bestaunen, wir werden Gottesdienste
mitfeiern, wir werden am legendären Grab des Apolstels Jakobus sein, wir werden uns anstecken lassen von dem
Glauben derer, die dort angekommen sind, am vorläufigen Ziel, und wir werden von dort wieder aufbrechen zum neuen
Ziel, weiter unterwegs bleiben zum Lebensziel.
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