Freitag, 5.10.2001 - Von Portomarin nach Palas de Rei (23,9 km)

Gegen 7 Uhr brechen Walter und ich mit unseren Autos auf. Nach einer kleinen Stadtrundfahrt finden wir schließlich unseren Weg, nur um kurz hinter der Stadt festzustellen, dass wir auf einer Straße sind, die es nach unseren Karten gar nicht geben dürfte. Wieder einmal Umdrehen auf der Landstraße in der Dunkelheit! Wir haben beschlossen, den heutigen Pilgerweg auf Nationalstraßen zu umfahren und uns nicht mit unberechenbaren Nebenstrecken herum zu ärgern. In Palas de Rei stehen wir zunächst einmal hilflos irgendwo in der Stadtmitte. Trotz der (für spanische Verhältnisse) frühen Morgenstunde, entdeckt Walter eine Passantin, die ihm den Weg zum Hostal Ponterroxan erklärt. Es liegt noch fast einen Kilometer außerhalb der Stadt. Unser heutiger Weg wird sich also auf 25 km verlängern. Das brauchen unsere lieben Pilgergefährten aber jetzt noch nicht zu erfahren - von wegen Psycho-Schocks usw! Kurz nach 8 sind wir zurück und finden die Ahnungslosen beim Frühstück.

Nach dem 'Zähneputzen' sind wir gegen 9 Uhr endlich soweit und wandern wohlgemut an der Kirche San Nicolás vorbei, unter den Arkaden zum Städtle hinaus und zur Landstraße hinunter. Dabei haben wir bereits einen Blick auf die Brücke mit den hohen Stelzen, die uns über den Zufluss des Stausees führen wird. Einigen von uns scheint sie wenig vertrauenerweckend (was eifrig von gewissen Paparazzi dokumentiert wird) und sie sind froh, als wir auf der anderen Seite sind. Heute Morgen scheinen regelrechte Scharen von Pilgern unterwegs zu sein, schon beim Weg aus der Stadt fiel es uns auf. Jetzt, am diesseitigen Ufer, geht es stetig bergauf (tendenziell natürlich immer noch bergab!) und so lassen wir es langsam angehen. Kein Wunder, dass wir ständig überholt werden: Der hustende Jüngling (er hustet immer noch) mit seiner Freundin, die gutgelaunte, ständig vor sich hin singende, agile Dicke (wer hat sie nur Kugelblitz getauft?) und ihre Begleiterin mit den blonden Zöpfen und den Stixibeinen. Es zeigt sich aber, dass es doch so etwas wie eine übersinnliche Verbindung der Pilger untereinander gibt, denn die beiden wechseln unabhängig voneinander ein paar Worte (in englisch) mit Bettina. "Wie geht's dir denn heute" und die Blonde: "Ich stehe morgens auf und laufe los! "

In der Nacht hat es geregnet und die Wettervorhersagen sind auch nicht berauschend. Aber das Wanderwetter ist gut und die Aussicht auf das nun flacher werdende Land eindrucksvoll, atmosphärisch noch eingefärbt durch den Frühnebel. Als wir gegen 10 Uhr hinter einer Keramikfabrik wieder eine Anhöhe erreichen, ist der vor uns liegende Camino von einem Regenbogen überspannt, so, als würde Jakobus uns herbeirufen. Ein Sandweg führt uns parallel zur Straße. Um 11 Uhr, wir haben schon 7 km zurückgelegt, lädt uns ein Pilgerrastplatz mit Fuente zur Pause ein. Mitgebrachtes oder am Weg gefundenes wird verzehrt, die Füße werden neu verpflastert. Irgendjemand stellt fest, das Wasser der Quelle sei ungenießbar. Das Verhalten fremder Pilger bestätigt es. Der Schotte kommt vorbei, im Eilschritt wie stets, aber nicht ohne freundliche Begrüßungsworte. Seine sonst griesgrämige Begleiterin winkt heute gutgelaunt von der Straße herüber. Ursprünglich wollten wir zur Kirche von Gonzar hinüber. Ihr Aussehen ist aber nicht so einladend, dass wir uns von unserem Weg weglocken lassen. In dem kleinen Ort Castromajor versucht Beatrix vergeblich, für die Kirche am Bauernhof einen Schlüssel zu bekommen. Hinter dem Ort setzt ein feiner Regen ein und jeder versucht zunächst, ohne Regenzeug auszukommen. Als ich mich dann auf den Regen eingestellt habe - Sonne! Nach 10 Minuten schlägt es wieder um und als wir dann nach Hospital de la Cruz kommen, hat sich jeder regenfest gemacht. Es ist 13 Uhr und außer dem Hunger gibt es noch das Problem: wo findet man ein trockene Plätzchen?

Wir treffen auf eine neue Herberge am Ortsende aber sie ist geschlossen. Also zurück zu der Bar, die wir gerade noch so schmählich links liegen ließen. Hier kommt es nun zu einem Erlebnis, dass wir während der 7 Jahre noch nicht hatten. Etwa 5 Minuten dauert es, bis wir es glauben, dass hier Pilger unerwünscht sind. Bevor wir uns setzen dürfen sollen wir zunächst ein Menü bestellen. Toni bläst zum Sammeln, und so schnell wir gekommen sind, verschwinden wir auch wieder. Aber wir können es kaum fassen! Nach wenigen Schritten sind wir wieder an der Herberge. Ein Einheimischer gibt uns Auskunft: Es ist üblich, dass Pilger dort rasten können, die zuständige Señora müsse aber jeden Moment kommen. Es stimmte tatsächlich! Ohne Probleme wird uns erlaubt (trotz Verschmutzungsgefahr), den Aufenthaltsraum zu benutzen. Endlich können wir Rucksäcke und Regenzeug ablegen und uns hinsetzen, um etwas zu essen. Die Welt ist wieder in Ordnung. Tonis Meditation geht über "Berg und Tal", das Auf und Ab des Lebens. Wir holen uns noch einen Stempel und Gert macht alles besenrein. Als wir um 13.50 Uhr weiterziehen, werden die Gedanken in die Realität übertragen: wie gelingt es mir, ohne Blasen über den Jakobsweg zu kommen. Die Meinungen sind durchaus unterschiedlich!

Wir überqueren gleich hinter der Herberge die Nationalstraße und gehen dann eine Asphaltstraße nach Norden weiter. Der Regen hat aufgehört, es ist kaum Verkehr: Rosenkranz - allerdings heute in mehreren Etappen. Hinter dem ersten Ort muss zum Beispiel die Ligonde-Höhe (702 m) überwunden werden, eine stürmische und teilweise feuchte Angelegenheit. Bettina und ich registrieren ein Schild "Bar 2 km". Ein cafe solo wäre jetzt durchaus angemessen! Die 2 km ziehen sich gewaltig. Wir müssen durch Prebisa und Ligonde, das wir gegen 15 Uhr erreichen. Hinter der Ortschaft nehme ich mir kurz Zeit, ein altes Wegkreuz zu fotografieren. Auch Toni und Manfred sind noch da. Die Spitzengruppe ist durch die so lange schon angekündigte Bar angelockt worden, die sich als eine Art nicht ganz fertig gewordener Wintergarten entpuppt, mit einer Santiago - Hexe im Pilgerstempel. Aber die kurze Rast mit den warmen Getränken tun uns gut. Hinterher, nach Eixerse geht der Weg wieder aufwärts, um sich dann hinter Portos in ein Bachtal zu senken. Noch eine ganze Weile geht es über Asphalt weiter. Kurz bevor der Camino auf die Nationalstraße trifft, der Ort heißt wohl Rosario, wartet die Spitze auf den Rest der Pilgerschar. Es ist gegen 17 Uhr und bei gewissen Kulturfreaks macht sich merklich Unruhe breit. Sie wollen noch die romanische Kirche Vilar de Doñas besichtigen, deren Fresken eine Berühmtheit sein sollen. Es gibt jedoch eine Menge Unbekannte: bis wieviel Uhr ist die Besichtigung möglich, wie sollen wir das Hinkommen organisieren .... Wir haben aber zunächst noch eine Stunde Weges zu bewältigen (und Walter und ich wissen, dass es noch etwas mehr sein wird). In Palas de Rei kommen wir am Ortseingang an der alten Kirche vorbei und erfahren, dass Vilar de Doñas bis 19 Uhr geöffnet ist. Die allgemeine Begeisterung für den Abstecher ist nicht gerade überwältigend, so dass die Überlegung, mit mehreren Taxis fahren zu müssen, schon einmal überflüssig ist. Als wir um 18 Uhr das Hostal erreichen, liegt die Lösung auf der Hand. Die Autofahrer müssen sich eine halbe Stunde gedulden, bis ich die Künstler nach Vilar gefahren habe, dann bringe ich die Fahrer nach Portomarin, um die Autos und das Gepäck zu holen. Und so geschieht es - beinahe! Die Kirche in Vilar ist nämlich geschlossen und es sieht so aus, als müssten wir uns mit dem durchaus beeindruckenden Äußeren begnügen. Aber der zuständige Señor hat die späten Interessenten bemerkt und taucht nach 10 Minuten mit dem Schlüssel auf. Ich werfe noch einen kurzen Bück auf die Fresken, dann geht's zurück zum Hostal und dann mit den Fahrern nach Portomarin zurück. Auf dem Rückweg hole ich die Künstler (Bianca, Beatrix, Toni, Manfred) wieder ab, die an der Bushaltestelle warten, ohne sich um die verblüfften Blicke der Einheimischen (der nächste Bus kommt morgen) zu kümmern. Wie man sieht muss der Pilger in der Lage sein, auch kompliziertere logistische Probleme kreativ zu lösen!

Unser Hostal ist zwar kein 3 Sterne Hotel, kann aber in Bezug auf das Essen überall mithalten. Die Erbsensuppe wird als besonderer Leckerbissen in die Geschichte unseres Jakobswegs eingehen. Die pure Menge des Angebotenen schien uns allen in besonderem Maße den Bedürfnissen des Pilgers angemessen. Und die "Autoreifen" (Edgar übersetzte sie mit Calamares ins Spanische) waren prima.

Bernhard

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